Genre Guide "Dance"

so nun kommen hier noch die Dance-Genres

 

Ambient
Ambient ist alles was dahinklimpert, dahinrauscht, dahingleitet; Ambient ist elektronische Meditationsmusik! Die Zutaten: Zeit und Ruhe (Entspannung geht auch), höherwertige Soundmaschinen, Keyboardflächen, einen Joint und so etwas ähnliches wie ein Thema oder eine Melodie.

Die Zubereitung: Die vorhandene Zeit behutsam mit den restlichen Zutaten vermengen, und dabei auf einen sich langsam entwickelnden Spannungsverlauf achten. Am besten gelingt´s, wenn man jeder Zutat die Chance gibt, sich zu entfalten.
Die besten Köche: Brian Eno, The Orb, John Hassell, Harold Budd, Howie B. und Hector Zazou. Übrigens: Brian Eno (der früher bei Roxy Music war) hat anno 1974 die Musik und den Begriff Ambient mit AMBIENT 1 "Music for Airports" erfunden.
**************
 
Baile Funk
 
Baile Funk ist eine in den 90er Jahren sehr populär gewordene Form des Hip Hop aus Brasilien. Die überwiegend in den Favelas, den brasilianischen Armenvierteln, rund um Rio verbreitete Stilrichtung zeichnet sich oft durch ihre einfache, meist klanglich sehr rauhe Produktion und aggressive Vocals aus. Die MCs stehen dabei eher in der Tradition früher "Masters Of Ceremony" als der überwiegende Teil heutiger Rapper, was sich in den eher geschrieenen als gesungenen Texten wieder spiegelt und teilweise auch die häufig durch Punk beeinflusste Vergangenheit der Protagonisten zu Tage treten lässt.

Musikalisch orientiert sich Baile Funk stark an Old School Hip Hop und Miami Bass, einer schnellen, von elektronischen Beats gekennzeichneten Spielform des Hip Hop, die in Referenz auf das Stück "Planet Rock" von Afrika Bambaataa entstand. Dem energiegeladenen Beats mit dem typischen Sound des TR-808 Drumcomputers mischen die "Funkeiros" dabei gerne traditionelle brasilianische Rhytmen unter. Nicht selten basiert das gesamte Songkonstrukt auf einem Sample oder gar einer kompletten Melodie eines populären Stückes, was die Songs mangels Möglichkeiten des Sample-Clearings (Einholen der Lizenzen der Originalkünstler) in das kommerzielle Abseits befördert. Daher sind sehr viele Baile Funk-Stücke nur über Filesharing oder auf einschlägigen Webseiten zu erhalten.
Die Texte handeln meist von Sex, Drogen und Kriminalität und sind nicht selten extrem gewaltverherrlichend. Ähnlich wie im amerikanischen Rap wird die Szene von Künstlern aus den Armenvierteln dominiert, und da sich dort legal kein Geld machen lässt, betätigen sich viele von ihnen als Drogenhändler oder Leben von Überfällen und Einbrüchen. Auch sie träumen von Ruhm, Sex und Geld - nur, dass die Erfüllung dieses Traumes für sie noch weit unwahrscheinlicher sein wird, als für ihre US-amerikanischen Kollegen.

In Europa erlangte Baile Funk zunächst vor allem wegen der oft in Massenschlägereien ausartenden Bailes de Corredor zweifelhaften Ruhm. Diese Partys werden mit spärlicher Ausrüstung meist in Turnhallen oder auf Fußballplätzen der Favelas ausgetragen und sollten von Fremden nur besucht werden, wenn sie ganz genau wissen worauf sie sich einlassen. So ist es z.B. ratsam, auf dem Weg zur Party auf den letzten 100 Metern die Scheinwerfer des Autos aus und die Innenraumbeleuchtung an zu schalten, um nicht Gefahr zu laufen, von beteiligten Gangmitgliedern mit der Polizei verwechselt und erschossen zu werden.

Mittlerweile hat sich der Stil durch einige Veröffentlichungen europäischer Plattenlabels, allen voran die Favela-Mixtapes von Diplo, auch in der nördlichen Hemisphäre weiter verbreitet. Der Ausverkauf folgt auf dem Fuße: Der Track Quem Que Caguetou (Follow Me Follow Me) von Black Alien & Speed schafft es 2004 dank seiner Verwendung in einem Auto-Werbespot und einem Remix von Fatboy Slim in Großbritannien und Deutschland in die Top 100.
 
***************
 
Bossa Nova
"Schuld war nur der Bossa Nova,
Was kann ich dafür.
Schuld war nur der Bossa Nova,
Bitte glaube mir.
Denn wer einen Bossa Nova tanzen kann,
Dann fängt für mich die große Liebe an.
Schuld war nur der Bossa Nova,
Der war Schuld daran"

Mit der deutschen Version von "Blame It On The Bossa Nova" (Eydie Gorme) singt sich Manuela 1963 auf Platz eins der deutschen Charts. Während das Wirtschaftswunder brummt vertreibt sich das unterhaltungssüchtige Volk in den Amüsiertempeln der goldenen Ära die Zeit. Und was ist dort der neueste Schrei? Genau! Bossa Nova!
Zum relaxten Groove schwappt mit der Bossa-Flut auch gleich der dazugehörige Tanzstil über den großen Deich. Zahlreiche Magazine widmen sich der 'neuen Welle' (wie Bossa Nova neben 'neuer Beat' und 'neue Sache' auch übersetzt wird), und drucken die dazugehörigen Schrittfolgen ab.

Ob es sich nun um die Bossa Nova oder der Bossa Nova handelt sei mal dahin gestellt, denn es verhält sich wie mit Butter, die je nach geografischer Herkunft weiblich oder sächlich ist (beides ist erlaubt). Wer mag, kann ja zwischen die Bossa Nova (als Musikstil), der Bossa Nova (als Tanz) und dem Bossa Nova als Bewusstseinszustand, den der Bossa-Theoretiker Ronaldo Bôscoli propagiert, unterscheiden.

Sicher ist, dass der neue Sound sich Anfang der 50er gleichzeitig in Brasilien und den USA zusammen braut. Zu dieser Zeit beginnen Musiker in Amerika mit lateinamerikanischen Rhythmen zu experimentieren. In Brasilien setzt man sich mit den aktuellen Jazzentwicklungen auseinander und so kommt es, dass Samba und Cool Jazz eine Ehe eingehen, die bis heute ein glückliches und zufriedenes Beieinander zelebriert.

Antônio Carlos Jobim ("The Girl From Ipanema", Baden Powell, Luiz Bonfá, Astrud und João Gilberto sitzen in Brasilien auf dem Standesamt und gelten, neben Charlie Byrd und Stan Getz, die in Amerika den Traualtar wienern, als Begründer des Genres. Gegen Ende der Dekade verzeichnet das potente Traumpaar die ersten ernst zu nehmenden Geburten. Das 1959 von A.C. Jobim und João Gilberto veröffentlichte "Chega De Saudade" gilt als eine der ersten wichtigen Kompositionen des Bossa Nova.

Dazu folgende Anekdote von Zeit-Redakteur Josef Engels: "Wenn man es 1958 als Musiker in Brasilien zu etwas bringen wollte, musste man zunächst den Markt in São Paulo erobern. Dort hatte die Schallplatten- und Elektronik-Kette Lojas Assumpção mit ihren Filialen das Sagen. Als ihr Geschäftsführer Álvaros Ramos im Spätsommer 1958 die Single eines vielversprechenden neuen Künstlers auf den Tisch bekam, war die Reaktion jedoch katastrophal. "Warum nehmt ihr jemanden, der erkältet ist?", knurrte Ramos. Er nahm die Schellackplatte vom Spieler - und zerschlug sie an der Tischkante. "Das ist die Scheiße, die wir aus Rio kriegen." Ramos hielt nicht lange an seinem Urteil fest. Als ihm der Sänger mit dem vermeintlichen Rachenkatarrh persönlich vorgestellt wurde, war er sehr von ihm beeindruckt und nahm die Platte doch in den Handel. Ihr Titel: Chega de Saudade, zu Deutsch Nie wieder Sehnsucht. Ihr Interpret: João Gilberto. Ihre Folge: eine Revolution. "Später stellte sich heraus, dass keine andere brasilianische Platte so viele Menschen dazu inspirierte, singen, komponieren oder ein Instrument – genauer gesagt: Gitarre – spielen zu wollen", schreibt der Journalist Ruy Castro in seinem Buch, das 1990 unter eben diesem Titel in Brasilien erschien: Chega de Saudade." In Deutschland ist Castros Buch seit einiger Zeit unter dem Titel "Bossa Nova - Eine Geschichte der brasilianischen Musik" erhältlich. Die parallel zu dem Buch erscheinende und von Ruy Castro zusammengestellte CD "Bossa Nova - The Sound Of Ipanema" liefert den passenden Soundtrack.

Der internationale Durchbruch gelingt dem neuen Stil 1962. Charlie Byrd spielt mit Stan Getz das Album "Jazz Samba" ein. Von nun an gibt es kein (kommerzielles) Halten mehr und die Bossa Nova setzt zum finalen Sieg an. Im Zentrum des Geschehens: Eine sanfte Stimme, smoothe Grooves, Jazzharmonik und eine virtuose, akustische Gitarre. Die Details der gerne synkopierten Melodik, der komplizierten harmonischen Struktur oder des oft mit Besen erzeugten Grundrhythmus, der sein wichtigstes Element, den Clave-Beat, umspielt, sollen an dieser Stelle ausgespart bleiben.

1964 verändert der Militärputsch das politisch- gesellschaftliche Klima in Brasilien maßgeblich und viele Musiker sehen sich gezwungen, ihr Land zu verlassen. Sie emigrieren in die USA, wo sie sich noch ausgiebiger mit dem Jazz der westlichen Welt auseinander setzen und die Bossa Nova zu ihrer Blüte treiben. Die amerikanischen Stars dieser Zeit liefern sich gleichfalls aus und neben Ella Fitzgerald veröffentlicht auch Frank Sinatra (gemeinsam mit Antônio Carlos Jobim, 1966) einen Höhepunkt der Bewegung.

Die Wogen glätten sich gegen Ende der 60er. Übrig bleiben solch gewaltige Evergreens wie "Girl from Ipanema", "Desafinado", "Mas Que Nada" oder "One Note Samba". Ganz verebbt ist die 'neue Welle' jedoch nie und so gehört der Geist der Bossa Nova bis heute zum Repertoire der Popmusik. Steely Dan profitier(t)en von diesem Geist ebenso wie Sade, Al Jarreau und viele andere.

In den 90ern entdeckt die frickelaffine Produzentenjugend den Sound wieder und interpretiert, auf der Grundlage von moderner Studiotechnik, in zahlreichen Remixes die Originale von einst. Als Brasilectro erobert die Bossa Nova erneut die Herzen der Europäer und vor allem der Europäerinnen. Easy Listener wie De-Phazz oder die Dancefloorspezialisten von Thievery Corporation nehmen sich ihrer an, und auch die Musikerinnen und Musiker des MPB (Bebel Gilberto u.a.) entwickeln sie weiter.
 
***************
 
Disco
 
"Dancing Machine"
"He's The Greatest Dancer"
"Let's Dance Across the Floor"
"Everybody Dance"
"Dance, Dance, Dance"

Selbst dem verstocktesten aller Zuhörer dürfte das Hauptthema einer Musikrichtung, die mit der Bezeichnung "Dance Music" weit treffender etikettiert wäre, schwer verborgen bleiben. Disco war immer schon Tanzmusik - in erster und einziger Linie.
Wie jeder Konzertveranstalter weiß, birgt Live-Musik diverse Nachteile. Musiker wollen bezahlt, verköstigt, untergebracht werden, Instrumente, Technik und entsprechend Platz für Equipment und Personal sind vonnöten. Weit weniger aufwändig scheint es da, auf Musik aus der Konserve zurückzugreifen. In den 60er Jahren werden, zunächst in den USA, Diskotheken populär.

Bei der Musikauswahl steht die Tanzbarkeit aus naheliegenden Gründen im Vordergrund. Jazz-, Pop- und Rock-Songs mit gerade durchgehaltenen Rhythmen werden gespielt, ein wenig Salsa, hauptsächlich jedoch Soul und Funk. Insbesondere die (wie der Name verrät) in Philadelphia entstandene Soul-Variante des Phillysound, wie ihn die Intruders, Harold Melvin & The Blue Notes, die O'Jays oder MFSB servieren, eignet sich ausgezeichnet.

In den in amerikanischen Großstädten aus dem Boden schießenden Clubs entwickelt sich, anfänglich in vorwiegend von Schwarzen und Schwulen frequentierten Läden, das musikalische Phänomen, das später als die die 70er Jahre beherrschende Strömung im Gedächtnis bleiben soll. Bassbetonter 4/4-Takt, Drums, die später gerne auch elektronischen Ursprungs sein dürfen und ohrwurmartige Refrains zwingen das tanzwütige Volk auf den Dancefloor und ebnen dem Sound aus dem Club den Weg ins Mainstream-Radio. Orchestrale Klänge, Streicher und Bläser, finden über das Hintertürchen Disco Eingang in die Popmusik.

Anfangs noch um 90 bis 110 bpm, zieht das Tempo bald merklich an. Die durchschnittliche Disco-Nummer bewegt sich in der Regel zwischen 120 und 130 bpm. Der Ursprung der Bezeichnung "Disco" liegt auf der Hand. Erste Diskussionen in den Medien, darunter das Billboard Magazine oder Vince Alettis Artikel im Rolling Stone ("Discotheque Rock '72 Paaaaaaarty!" ) helfen ab 1973 bei der Verbreitung des Terminus.

Wie so oft gehen die Meinungen darüber, wo nun die Geburtsstunde des Genres genau zu verorten ist, drastisch auseinander. Einige sehen in Manu Dibangos "Soul Mekossa" die erste Disco-Nummer. Die Ansicht, dass Künstler wie Sly & The Family Stone, die Incredible Bongo Band, Isaac Hayes, die Average White Band sowie der auf ewig unvergessene James Brown und Künstler aus den Reihen von Motown entscheidende Vorarbeit leisten, gilt jedoch weithin als konsensfähig.

Ebenso unzweifelhaft trägt Tom Moulton Entscheidendes bei. Das Ziel: Die Menge soll am Tanzen, das entstehende Gefühl aufrecht erhalten werden. Das Problem: Auf die Seite einer 7"-Single, das gängige Werkzeug jedes DJs, passen in tragbarer Soundqualität maximal vier bis fünf Minuten. Tom Moulton tut zweierlei: Zum Einen mischt er auf Gloria Gaynors Album "Never Can Say Goodbye" drei Songs so ineinander, dass ein einziges, eine komplette LP-Seite einnehmendes Musikstück entsteht und erfindet damit den Disco-Mix. Zum Anderen presst er längere Titel zunächst auf 10"- dann auf 12"-Vinyl, das zu Promo-Zwecken unter die DJ-Gemeinde gebracht wird: Disco beschert der Welt die ersten Maxi-Singles. Deren Vater zum Thema: "Ich habe keine Tanzplatte gemacht. Ich habe eine Platte gemacht, zu der man tanzen kann."

Getanzt wird dann auch. Ausgiebig. "Love's Theme", "Machine Gun", "Shame, Shame, Shame" oder "Lady Marmelade" bilden die Vorboten eines Booms, der 1975 in einer wahren Hit-Flut explodiert. Es gibt kein Entrinnen vor Van McCoy ("The Hustle" ), Gloria Gaynor oder Donna Summer. Mit "Love To Love You", "Hot Stuff" und "Need A Man Blues" lässt insbesondere letztgenannte Dame keinen Zweifel daran, was neben dem Tanz außerdem noch interessiert. Zur Erinnerung: Wir befinden uns in den 70ern. AIDS ist noch lange nicht Thema.

Endgültig zum Massenphänomen wird Disco 1977 über den Film "Saturday Night Fever" mit John Travolta. Wie auch "Thank God It's Friday" aus dem Jahr darauf, befasst sich "Saturday Night Fever" mit dem Lebensgefühl, das Disco darstellt, mit Tanzen, der Clubszene und mit Sex. Der Streifen liefert beste Unterhaltung, setzt Modetrends und beschert den Bee Gees ein triumphales Comeback.

Disco Inferno so weit das Auge reicht: Disco bedient sich bei gängigen Rock- und Popklassikern, hinterlässt aber auch Spuren in zahlreichen anderen Genres. Waschechte Rocker wie die Rolling Stones präsentieren plötzlich Songs im Disco-Gewand. Queen entleihen sich für "Another One Bites The Dust" gar die komplette Basslinie aus Chics "Good Times", die sich auch in "Rapper's Delight", der ersten kommerziell erfolgreichen Rap-Platte wiederfindet. Frank Zappa karikiert Disco mit "Dancing Fool", und selbst der entschiedenen Anti-Strömung Punk drückt Disco einen Stempel auf, indem es die Vorgaben dafür stellt, was gar nicht geht.

Die Bewegung beschränkt sich schon lange nicht mehr auf die USA. 1975 landet Dalida in Frankreich einen Disco-Hit. Frank Farian beschert Deutschland mit Boney M. Sternstunden des Kalibers "Daddy Cool", "Ma Baker" und "Brown Girl In The Ring". Produzent Dieter Bohlen schleppt den Disco-Sound noch bis tief ins nächste Jahrzehnt. Japan bekommt in den späten 70ern mit dem Duo Pink Lady seine Disco-Stars. Everybody does "Kung-Fu Fighting", nicht nur Carl Douglas.

Mit den aufkommenden 80er Jahren wandelt sich das Strickmuster ein wenig. Anfangs oft aufwändige Orchestrierung weicht programmierten Klängen aus den Synthie-Keyboards von One-Man-Bands. Einst bombastische Klangwände lösen sich auf und geben Raum für reduzierte, transparentere Strukturen. Aus Disco wird Electronic Dance Music, das Genre verschwindet weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein und kehrt zu seinen Wurzeln, in die Clubs zurück. In legendären Läden wie Larry Levans Paradise Garage oder in Frankie Knuckles Warehouse entstehen neue Strömungen. Garage, House, Hi-NRG, Euro- und Italo-Disco: Die Wurzeln sind identisch. Das Etikett "Disco" haftet auch weiterhin hartnäckig allem Tanzbaren an.

Die Goldene Ära mag verstrichen sein. Verschwunden oder gar tot ist Disco deswegen noch lange nicht. Anfang der 90er landen Black Box mit "Ride On Time" einen verdächtig Disco-lastigen Hit. Die Pet Shop Boys orientieren sich für "New York City Boy" offen an den Village People. Um 2000 erlebt Disco ein Revival: Alcazar weinen in der Diskothek, Sophie Ellis-Bextor diagnostiziert "Murder On The Dancefloor". Selbst die Queen of Pop, Madonna, bedient sich 2005 für "Hung Up" eines Disco-Samples. ABBA liefern die Vorlage. Die Spiegelkugeln mögen etwas angestaubt sein, doch sie glitzern nach wie vor.
 
**************
Drum'n Bass
Galt das Wort Jungle zunächst als Oberbegriff für jenen schnellen Breakbeat-Sound, der sich aus dem englischen Hardcore Anfang der 90er Jahre entwickelt hatte, setzte sich mit dem Schwinden des Ragga-Einflusses und der Erweiterung des musikalischen Spektrums allmählich die Bezeichnung Drum'n'Bass durch. Ein Etikett, das die Essenz des Sounds besser auf den Punkt brachte: Beats, die mittlerweile bei gut 160 BPM angekommen waren und ein tiefer Bass.

Alex Reece landete 1995 mit "Pulp Fiction", das scheinbar in seiner minimalistischen Struktur, seinen geraden Beats und seinem Jazz-Appeal kaum noch etwas mit dem nervösen Jungle-Flair geschweige denn UK-Hardcore tun hatte, einen Clubhit. Mit Goldies Meilenstein-Album "Timeless" bekam die Musik für die Masse ein Gesicht. Und zwar ein ziemlich einprägsames! Mit der Drum'n'Bass-Blaupause "Terminator" hatte der spätere James-Bond-Bösewicht bereits 1992 die Szene aufgemischt. Nun war er Kopf eines der einflussreichsten Drum'n'Bass Labels (Metalheadz), für das DJs wie Kemistry & Storm als musikalische Missionare durch die Clubs der Welt zogen und mit der rohen und futuristischen Energie ihrer Platten Scharen von Fans bekehrten.
Londoner Brutstätten des Sounds der Stunde waren seinerzeit der legendäre Club 'Speed' und die sonntäglichen Metalheadz Sessions im 'Blue Note', bei denen sich die Drum'n'Bass-Chefriege um Fabio, Goldie, Grooverider und Doc Scott einfand, um mit den neuesten, frisch auf Dubplate geschnittenen Dance-Hymnen die Crowd zum Kochen zu bringen.

Drum'n'Bass war in, fand sich in seiner melodiösen Variante auf zahlreichen Lounge-Compilations und in Werbespots wieder. Pioniere wie Roni Size (Reprazent) bekamen dicke Plattenverträge und Coverstorys in den Musik-Gazetten. Gearbeitet wurde dabei an den verschiedensten Baustellen: Während LTJ Bukem mit seinem Good-Looking-Label den atmosphärischen - anfangs Intelligent Drum'n'Bass genannten - Part des Genres okkupierte, forschten Nerds wie Photek oder Source Direct mit einer immer komplexer werdenden Beat-Struktur an einer vertrackten Jungle-Wissenschaft. Andere sampelten Jazz-Loops, Soul Vocals oder wagten den Crossover zum Rap. Auch die Popwelt entdeckte Jungle. Bands wie Everything But The Girl ließen sich remixen oder bauten Drum'n'Bass-Elemente in ihr Repertoire ein, so auch David Bowie. Drum'n'Bass war der Sound der Stunde und viele schwärmten schon vom europäischen Pendant zum US-Hip Hop.

Das war aber dann doch mächtig übertrieben. Zwar waren Drum'n'Bass-Tracks nach wie vor in England immer für eine Chart-Platzierung gut. Doch insgesamt ebbte der ganze Hype rasch ab, als die Darkness-Welle über den Drum'n'Bass schwappte. Diese minimalistischen, kalten und bedrohlich-technoiden Produktionen von Ed Rush, Optical, Fierce und Konsorten waren nichts mehr für den Mainstream. Trotzdem hatte sich - in England sowieso, aber auch in Europa und dem Rest der Welt - eine feste Szene mit Künstlern, Clubs, DJs und Labels etabliert, die auch ohne die großen Majorverträge den Sound am Leben hielt.

Im Laufe der Jahre verästelte sich Drum'n'Bass zusehends. Alte und neue Schubladen wie Intelligent, Techstep, Jazzstep, Drumfunk, Clownstep, Neurofunk und Liquid Funk wurden aufgemacht um den einzelnen Sub-Genres gerecht zu werden. Denn nach wie vor nährt sich Drum'n'Bass aus allen musikalischen Einflüssen, sei es Electro, Funk, Brazil, Soul, Hip-Hop, House, Jazz, Metal, Pop, Techno oder Trance - und auch der gute alte Reggae kam im neuen Jahrtausend im ganz großen Stil zurück.
 
***************
 
Dub 
"Wenn Reggae Afrika in der Neuen Welt darstellt, dann handelt es sich bei Dub um Afrika auf dem Mond." (Luke Ehrlich in "X-Ray Music: The Volatile History of Dub" )

Dub, gekeimt in verschiedenen kleinen Aufnahmestudios Kingstons, beginnt seinen Siegeszug um die Welt und quer durch sämtliche Genres, die ansatzweise in der Schublade "Dance Music" verstaubar sind, in den ausgehenden 50er und frühen 60er Jahren. Die Urheberschaft einer einzigen Person zuzuschreiben, fällt schwer: Gleich mehrere Produzenten verfallen im Zuge der Wirtschaftlichkeit auf ein ähnliches Recycling-Verfahren, das anfangs nur auf Dub(!)plates, später (und bis heute) häufig auf den B-Seiten von Singles anzutreffen ist.
"Man konnte die Rückseite schließlich nicht ungenutzt lassen", erinnert sich Dub-Pionier Scientist im Interview. "Und hätte man einen zweiten Tune auf die B-Seite gepackt, man hätte zwei Songs zum Preis von einem verkauft." Die Idee, dem eigentlichen Track eine Instrumental-Fassung mit auf den Weg zu geben, schlägt mehrere Fliegen mit einer Klappe: Zum Einen bietet man so den Deejays mobiler Soundsystems, damals wie heute der unmittelbarste Weg, Musik aus dem Studio unters Volk zu bringen, die Möglichkeit, über diese Version ihre eigenen Lyrics zu toasten. Zum Anderen gestattet ein Instrumental, aus dem Resultat einer einzigen Studio-Session nahezu unbegrenzt viele Varianten herzustellen.

Diesen liegt jedoch meist ein ähnliches Rezept zugrunde: Man nehme einen beliebigen Reggae-Tune, entferne die Gesangsspur und jeglichen anderen überflüssigen Schnickschnack und konzentriere sich ganz auf die Drums und - mit besonderem Augenmerk - auf den Bass. Einzelne Instrumente, Vocals oder ausgewählte Passagen des Originalsongs werden nun einzeln ein- und wieder ausgeblendet. Garniert mit Echos, Hall, Delay, Phasing und anderen Effekten, Geräuschen und Verfremdungen entstehen basszentrierte Klanglandschaften, die, immer vorausgesetzt, es ist ein Spitzenkoch am Werk, ganz ohne Hilfe halluzinogener Substanzen eine nahezu bewusstseinserweiternde Wirkung entfalten.

Von einem Moment auf den anderen eröffnet sich dem Tontechniker die Möglichkeit, seine eigene kreative Seite auszuleben. Bevor das Mischpult zum Instrument avancierte, war dies den Vokalisten und Musikern vorbehalten. Die Entwicklung des Dub ist eng mit dem Fortschritt der Studiotechnik verknüpft - und umgekehrt. Nicht umsonst finden sich unter den Wegbereitern des jungen Genres zahlreiche Studiotechniker, die sich in der Lage sehen, das Equipment ihren musikalischen Bedürfnissen anzupassen.

Anfangs gestaltet sich Dubbing noch als äußerst mühsames Geschäft. Erst die Entwicklung der Mehrspurtechnik erleichtert in den 70er Jahren das Handwerk deutlich. Kaum dass sich die Instrumente auf mehrere Tonspuren verteilen, loten Dub-Musiker bereits die Möglichkeiten aus. Ihre Produktionen gelangen über die mobilen Soundsystems und in den Dancehalls zu Ohren des tanzwütigen Volks. Das Dub-Fieber breitet sich rasant aus. Drum-Computer und modernere Effektgeräte erweitern mit den Jahren das Spektrum und ermöglichen die Spielart Digital Dub. Produzenten gestalten ihre Dubs im Studio, aber auch live unter Zuhilfenahme vorproduzierter Platten oder "richtiger" Musiker.

Von der B-Seite zur Album-Länge dauert es nicht allzu lange. Meist handelt es sich dabei um Versionen von Vocal-LPs, in einigen Fällen werden aber auch Dubs kompiliert, zu denen es erst gar keine Vorlage gab. Eine Vorreiterrolle nehmen in diesem Zusammenhang Lee 'Scratch' Perry, Herman Chin, Errol Thompson und Linton Kwesi Johnson ein: Sie erkennen das wirtschaftliche Potenzial, das im Dub schlummert, und produzieren die ersten reinen Dub-Alben. Lee Perry legt im Frühjahr 1973 mit "Blackboard Jungle Dub" ordentlich vor. Seit Mitte der 70er sitzt auch das Produzenten-Duo Sly & Robbie fest im Dub-Sattel.

Zum King of Dub soll sich jedoch ein anderer aufschwingen: Osbourne Reddock, besser bekannt als King Tubby, setzt sich 1975 mit "King Tubby Meets The Upsetter At The Grass Roots Of Dub" und "Surrounded By The Dreads At The National Arena" an die Spitze des Feldes. Anfangs noch als Radio-Techniker tätig, wird er später mit der Herstellung von Instrumental-Versionen von aktuellen Rocksteady-Nummern betraut. Sein Soundsystem Hi-Fi Home Town, mit dem U-Roy als Resident-DJ unterwegs ist, schwingt sich nebenbei bald zu einem der angesehensten auf der ganzen Insel auf.

King Tubby leistet auf Dub-Gebiet Pionierarbeit. Glasklarer, atmosphärischer Sound, reichlich Hall (insbesondere auf Snare und Bass Drum) sowie eine beeindruckende Weite kennzeichnen seine Produktionen. Er entfernt Teile aus bestehenden Songs, fügt andere hinzu und gestattet so freie Sicht auf Passagen, die sonst nicht ohne Weiteres zugänglich sind.

Viele sehen in King Tubby den Ahnherren des Remix. Er treibt die Entwicklung des Produzenten vom schnöden Techniker zum Künstler entscheidend voran. Er gilt als der erste, der Vocals seines Toasters U-Roy über einem bereits populären Riddim aufnimmt und legt so quasi den Grundstein für das später exzessiv betriebene Versioning. In den 80er Jahren konzentriert sich King Tubby auf die Betreuung seiner diversen Labels, wo unter anderem Sugar Minott ein Zuhause findet.

Inzwischen hat die Dub-Welle Europa und insbesondere Großbritannien erreicht. Hier schwingen sich Mad Professor, der unvergleichliche Jah Shaka und Adrian Sherwood mitsamt seinem Label On-U Sound zu den führenden Figuren der Szene auf. UB 40 platzieren mit "UB 40 Present Arms In Dub" das erste Dub-Album in den britischen Top 40. Dub greift auf andere Musikrichtungen über, wabert durch Tracks von The Clash oder The Police, schallt gleichermaßen durch Europa, die USA und Japan.

Als King Tubby 1989 bei einem Raubüberfall vor seinem Haus erschossen wird, hinterlässt er der Welt nicht nur seine Arbeit, sondern auch mindestens zwei Talente, die in seine riesigen Fußstapfen zu treten bereit sind: King Jammy und besonders Overton "Hopeton" Brown, besser bekannt unter seinem Alias Scientist, prägen die nächste Generation von Dub-Produzenten.

Wie Tubby beginnt auch Scientist als Techniker. Mit 17 Jahren gilt er bereits als einer der gefragtesten Toningenieure Jamaikas, der unter der strengen Hand seines Mentors regelrecht aufblüht: "Wenn ich eine Platte abgemischt hatte, brachte ich sie ihm und fragte: 'Tubby, wie gefällt dir der Sound?' Meistens sagte er etwas wie 'Nicht besonders', aber das tat er nur, um uns immer weiter anzuspornen. Jahre später gab er erst zu: 'Eine Menge von dem, das du da gemacht hast, war gut, aber ich hatte Angst, dass es dir zu Kopf steigen würde, wenn du wüsstest, wie gut du bist.' Er war ein echtes Genie."

In den 90er Jahren breitet Dub seine Tentakel in die unterschiedlichsten Bereiche aus. Dub beeinflusst Jungle, Drum'n'Bass, Techno, House, Ambient Trip Hop und Hip Hop und liefert die Grundlage für Strömungen wie Dubstep und Dubtronica. Bill Laswell, Massive Attack, Portishead, Kruder & Dorfmeister, Thievery Corporation, die Gorillaz, Jan Delay, die Asian Dub Foundation und viele, viele andere greifen die Dub-Vibes auf und tragen sie ins nächste Jahrtausend, wo die, wie Scientist sie nennt, "musikalische Röntgenstrahlung" auch weiterhin ungebremst neue Perspektiven eröffnet.
 
***************
 
Dubstep 
Der neue Sprössling im Epizentrum der urbanen Popkultur ist düster und verwandelt Dancefloors in Darkrooms. Ein Lo-Fi-Rauschen lässt vermuten, wo vor unzähligen Filtergängen einmal Snares und Hi-Hats waren. Die schleppenden,
versch(r)obenen Beats formen den minimalistischen Sound, tiefste Frequenzen fundamentieren das Klangbild.

Um die Jahrtausendwende zwingt sich im Süden Londons der 2Step aus seinem Beat-Korsett. Gegenläufige Drum'n'Bass-Beats, Garage-Sounds und Subbässe werden addiert: Dubstep ist geboren.
Häusliche Soundsysteme sind den wuchtigen Bässen der kompromisslosen Produktionen nicht gewachsen. Der Style wird auf die High-End-Anlagen der Clubs verbannt. Bei Dubstep-Events steht der Sound, die Atmosphäre und vor allem das Community-Feeling im Vordergrund.

Das damals noch unbekannte Label Tempa spielt eine stilbildende Rolle in der Entwicklung des Dubstep. Die Tempa-Veröffentlichungen des Sublabels Horsepower Productions klingen zwar noch vergleichsweise fröhlich, leiten aber dennoch die Ausbildung einer eigenen Szene in die Gänge.

Die Akteure, die meistens kaum älter als zwanzig Jahre sind, lassen sich noch an zwei Händen abzählen, als Skream, der seine ersten Tracks auf einer Playstation produziert, und Benga aufeinander treffen. Sie entschließen sich zum gemeinsamen Versuch, die DJ- und Produzenten-Legende El-B nachzuahmen. Sein mystifiziertes, nie veröffentlichtes Album wird in der Szene verehrt wie kein zweites. Burial beschreibt seinen dunklen 2Step als "letztes großes Geheimnis". Zwar scheitern Skream und Benga nach eigenen Angaben an ihrem El-B-Imitationsversuch, schaffen es aber, den Sound von seinen restlichen Garage-Wurzeln zu lösen und ihn bei Live-Sets unter die Leute zu bringen. Der Grundstein ist gelegt.

Durch Tempas Partyreihe "Forward" kommt der Sound regelmäßig in die Klubs. Durch Kode9, Produzent und Radio-DJ beim Piratensender RinseFM, gelangt Dubstep auch in die Volksempfänger. Mit der Zeit wird das Spektrum an Einflussquellen immer größer. Soundfetzen aus Rock, Metal und Techno tauchen auf, Beatstrukturen werden gesprengt. Der Einfluss von Reggae, Dub und Drum'n'Bass wird sichtbar(er).

2006 berichtet BBC über die Dubstep-Szene. Der Style verbreitet sich daraufhin explosionsartig. Auch in Deutschland wächst der Schauplatz über Berlin hinaus und die Musik des "Bass und Raum", wie sie Kode9 definiert, ist nun auch in anderen Städten zu erleben. Digital Mystikz und Loefah organisieren über ihr Label DMZ regelmäßig Dubstep-Nights und erhalten weltweit Referenzen. Durch leistungsfähige Sound-Anlagen erreicht die Musik eine physische Ebene, die Dubstep-Veranstaltungen schnell das Prädikat "wertvoll" verleihen.
 
***************
 
 
EBM
Neben triefend fettigen Pommes im Baguette und Bier mit einem nicht zu leugnenden Beigeschmack von Kirsche überraschte unser Nachbarland Belgien die Musikfans Mitte der 80er Jahre mit einer weiteren kulturgeschichtlichen Neuerung. Während es sich bei oben genannten Spezialitäten um Freuden des Gaumens im weitesten Sinne handelt, war EBM oder Electronic Body Music dazu angetan den akustischen Sinn zu erfreuen. Inspirieren ließen sich die belgischen Köche von Front 242 unter anderem von stark elektronischem Industrial im Stile von Cabaret Voltaire oder auch Throbbing Gristle sowie von minimalistisch synthetisch gehaltenen NDW Songs, allen voran natürlich DAFs "Mussolini", der als so etwas wie der Prototyp des neuen Stils gelten darf.

Dementsprechend setzen auch Front 242 ausschließlich auf Synthesizer, die den Beat der Stunde angaben. Straight four-to-the-floor hieß das Motto, angereichert mit fetten Sequenzerbässen und treibenden Melodien, verfeinert mit ein bisschen, oft bis zur Unverständlichkeit verzerrtem Gesang. Ähnlich martialisch wie die Musik war auch das Outfit: Springerstiefel, dunkles Leder oder Camouflage, schwarze Sonnenbrillen trugen Front 242 schnell den Ruf ein, im faschistischen Lager zuhause zu sein, und sorgten für billige Promotion unter anderem in der Bravo.

Doch das Sensationsgehabe verflog schnell, was bleibt sind Hits wie "Headhunter" oder "No Shuffle", die auch heute noch den Dancefloor zum Brodeln bringen. Wurden in unseren Breiten die meisten EBM Bands wie Dive, Nitzer Ebb oder Klinik zu Beginn der 90er im weiter gefassteren Genre Dark Wave verbucht und EBM somit der Historie überantwortet, so hielt man in den USA von Anbeginn an nicht viel von Electronic Body Music als Genre. Mit amerikanischem Pragmatismus wurde Industrial als Metalabel für alles was sich nach Krach anhört etabliert. Das deckte dann das gesamte Spektrum von den hitparadentauglichen Ministry oder Nine Inch Nails über die kanadischen Elektro-Lärmmacher von Skinny Puppy bis Front 242 oder den Noise-Pionieren Whitehouse ab.

In den 90ern tauchten dann einzelne EBM-Bands im Technokontext wieder auf, was bei der hohen Affinität von EBM zum synthetischen Dancefloorklängen auch nicht weiter verwunderlich ist. Front 242 ließen sich von Underworld remixen oder spielten mit großem Erfolg auf Raves und bewiesen den Techno-Kids, dass man schon in den 80ern zu Tanzen wusste
 
***************
 
Electroclash
Unglaubliche zwei Millionen US-Dollar lässt es sich das britische Kultlabel Ministry Of Sound im Jahr 2002 kosten, um das Debütalbum der Band Fischerspooner zu lizenzieren. Die New Yorker haben zwar außer einem Clubhit ("Emerge" ) und Auftritten vor maximal hundert Zuschauern wenig vorzuweisen, gehören aber untrennbar zu den Protagonisten einer neuen Hipster-Szene-Bewegung: Electroclash.

In zahlreichen europäischen Metropolen ist das Phänomen längst kein unbekanntes mehr und erobert die Lieblingsclubs und Kleiderschränke der Kids im Sturm. Musik und Mode sind die zu gleichen Teilen stilbildenden Ingredienzien des neuen Genres, das ursprünglich im Herbst 2001 von DJ und Clubbetreiber Larry Tee als Slogan für eine Festivalreihe in New York ersonnen wurde. Renommierte Printmedien wie Rolling Stone, The Face und der Village Voice tragen die neue Wortkreation jedoch ungefragt in die weite Welt hinaus, wo sie als neuer Jugend-Lifestyle zur Landung ansetzt.
Flugs gelten die Namen der auf dem "Electroclash"-Festival 2001 neben Fischerspooner aufgetretenen Bands wie Chicks On Speed, Peaches, Adult oder Crossover als Pioniere des neu entdeckten Genres. Allen gemeinsam ist ein ausgeprägtes, alten Glamrock-Tagen nicht fernes Style-Interesse, das Mode sowie Kunst beinhaltet und sich in teilweise bizarren Live-Performances widerspiegelt.

Auf musikalischem Gebiet verrät bereits der Name, dass Elektronik die Grundlage allen Tuns ist: 80er Jahre Synthie Pop und Italo Disco, aber auch Elemente des New Wave sind unter dem Banner Electroclash willkommen, solange es nur auf eine moderne Weise rockt. Auffällig dabei ist die respektlose, nicht selten amateurhafte und minimalistische Annäherung an die Klangerzeugung, die Ähnlichkeiten mit dem Do-It-Yourself-Geist des Punk herauf beschwört. Statt steriler Perfektion ist denn auch die Trash-Attitüde König: Glamour, Posing, Haarspray, Schminke, Sonnenbrille, Nietengürtel, Sex meets C64, Vocoder, Neonlicht und Roboter-Romantik. Je schriller, desto besser - Ohne den richtigen Look geht nichts.

Dazu gehört in hohem Maße die Kunst: Während Fischerspooner ihre Liveauftritte statt in verrauchten Clubs in sauberen New Yorker Galerien absolvieren, hat sich das Münchner Trio Chicks On Speed gleich auf der Kunstakademie kennen gelernt. Bei ihren Liveauftritten tragen die drei Girls ausschließlich selbst angefertigte Bühnen-Outfits, zu ihren spektakulärsten Kunstentwürfen zählt das "Boob Monster", eine Gummipuppe aus lauter Brüsten. Auftritte bei den Weimarer Kulturhauptstadttagen 1999 und das Engagement Karl Lagerfelds als Cover-Fotograf unterstreichen die gewachsene Szene-Relevanz der Chicks. Der Modezar selbst ist dem neuen Trend ebenfalls nicht abgeneigt und holt sich das belgische Synthie-Duo Vive La Fête als Live-Act zu seiner Chanel-Präsentation.

Referenzen an alte Helden sind im Coolness- Koordinatensystem natürlich willkommen: So behaupten My Robot Friend in einem ihrer Songs ganz frech "We Are The Pet Shop Boys", Miss Kittins "1982" huldigt in Wort und Ton einigen Elektro-Kapellen des besagten Jahrgangs und Ladytron benennen ihre Band nach einem Song von Roxy Music, den offensiv dekadenten Style-Ikonen der 70er Jahre. Das mit Electroclash einhergehende 80er Jahre-Revival holt mit Soft Cell, The Human League, Fad Gadget und DAF auch einige Heroen von damals ins Aufnahmestudio und auf die Bühnen zurück
 
***************
Flamenco
Am Anfang war der Schrei. Ay! Die Unterdrückung der Gitanos, der Zigeuner im multi-kulturellen Schmelztiegel Andalusien erforderte neues Wort für ihre Rhythmen, Lieder, Tänze. Ende des 18. Jahrhunderts war in Spaniens Süden Schluß mit dem Wort Zigeunermusik: Flamenco war geboren. Ay!

Der Ausdruck des Schmerzes, der Sehnsucht blieb. Typisch ist die Sologitarre, die Solostimme oder der Solotänzer, der Kontakt mit Neuem. Ay!
Den Durchbruch des Flamenco schaffte bei uns Sauras Film Carmen. Der Gitarrist, der dort auf einem Hocker sitzend seine Gitarre flambiert ist kein Andalusier, kein Zigeuner aber Spanier: Paco de Lucia. Eingefleischten Flamencofans sträubten sich die Haare. Flamenco ohne jubelndes Publikum, ohne kurze Zwischenrufe, ohne Interaktion mit dem Zuhörer. Das war zuviel. Darum: Flamenco entwickelt sein volles Potential nur in Gesellschaft. Ay!
 
***************
 
Funk 
Funk ist schwarz, eckig und tanzbar, soviel steht fest. Im afroamerikanischen Slang findet die Bezeichnung "funky" bereits seit den 50er Jahren im Sinne von "erdig" oder "dreckig", aber - oho! - auch in der Bedeutung "erregt" Verwendung. In der Umgangssprache entwickelt sich "it's funky" deshalb zum Modewort für alles, was kickt und Pfiff hat. In den späten 50ern und beginnenden 60ern taucht der Begriff zunehmend häufiger im Jazz auf. Zum eigenständigen musikalischen Genre bringt es der Funk, eine Entwicklung aus Soul, Rhythm and Blues, Gospel, Jazz und Rock, allerdings erst Ende der 60er Jahre.

Mit den Worten Bootsy Collins (1990): "Remember James Brown. He opened the door for all of us." Tatsächlich ist es James Brown, der die junge Musikrichtung maßgeblich prägt. Alle Stilmerkmale, die eine Funk-Nummer ausmachen, finden sich bereits beim Godfather of Soul. Getragen wird das Ganze vom synkopierten Bass, auf dem sich schließlich eine eigene Spieltechnik entwickelt: das Slappen. Die Saiten werden dabei nicht gezupft, sondern hart angeschlagen und angerissen. Das rhythmische Gewicht der Grooves liegt auf der vorgezogenen Eins. Scharf akzentuierte Bläsersätze und rhythmische Gitarrenriffs im Verbund mit Soulgesang ergeben den Rest. James Browns Texte haben dabei durchaus politischen Gehalt. "Say it loud: I'm black and proud!" ist nur ein Beispiel von vielen.
Große Popularität erreicht der Funk in den 70ern. James Brown, sein Saxophonist Maceo Parker, Sly & The Family Stone, die Average White Band, Kool & The Gang, Earth Wind & Fire, Tower Of Power, die Isley Brothers und die Commodores tragen dazu bei. Im Verlauf der Dekade treten mit Synthesizer und Drumcomputer innovative Produktionstechniken auf den Plan. Der Fortschritt führt einerseits zu einer Kommerzialisierung, der Funk mündet in der Disco-Musik. Andererseits begründet George Clinton schon zu Beginn der 70er mit Parliament und Funkadelic den P-Funk, der sich nachhaltig gegen alle Kommerzialisierungsversuc he wehrt.

In den 80ern führt die wechselseitige Beeinflussung zwischen Funk, Rock und Jazz zum Fusion. Jazzer wie Herbie Hancock (Headhunters), Miles Davis, die Crusaders und die Brecker-Brüder reiten ebenso stilbildend auf der Fusionwelle wie Level 42-Bassist Mark King, der das Slap-Bass-Spiel in ungeahnte Sphären hievt. Mothers Finest kombinieren den Funk derweil mit einer ordentlichen Portion Rock. Ende der 80er springen Bands wie Fishbone und die Red Hot Chili Peppers auf diesen Zug auf. Durch die Einbindung weiterer Stile entsteht daraus Crossover.

Der Funk jedoch groovt weiter. Im Verlauf der 90er bereiten ihn Meshell Ndegeocello und Branford Marsalis (Buckshot LeFonque) auf das neue Jahrtausend vor. Außerdem verweisen zahlreiche aktuelle Hip Hop-Artists auf ihre Wurzeln im Funk der 70er Jahre. Und viele der alten Legenden, allen voran Soul Brother No. 1, Mr. James Brown, lassen auch nach Jahrzehnten im Geschäft keinerlei Müdigkeit erkennen: "Get up! Get all up! Get on the scene like a sex machine." Genau so.
 
***************
 
 
Gabber
War Techno in den Ohren vieler Leute nicht viel mehr als ein bloßes bum-bum-bum-bum, so setzte Gabber (Gabba) dem Ganzen noch einen drauf. Die bpm's wurden hochgefahren bis über die 250 bpm hinaus, die Bassdrum in den Vordergrund gestellt und sämtlicher Schnick-Schnack, wie Handclaps, Hi Hat, Snare Drum, Vocals und Melodie auf ein Minimum reduziert. Gabber ist schnell, finster, kaputt. Kein Wunder, entsprang Gabber doch vor allem der Hooligan-Szene von Feyenoord Rotterdam, die damit einen Gegenpol zum 'schicken' House-Sound aus Amsterdam etablierten.

DJ's wie Paul Elstak auf seinem Label 'Rotterdam Records' machten den harten Ableger von Techno Anfang der 90er schnell groß in den Niederlanden und infizierten bald auch das Ausland mit dem Hardcore-Virus. DJ Hooligan ballerte den deutschen Gabber-Freaks die Beats um die Ohren und schaffte es mit seinen Tracks Mitte der 90er sogar bis in die Spitzen der Hitparade. Von Berlin aus schickt Alec Empires Label 'Digital Hardcore Recordings' seinen Krach in alle Welt. Die kompromisslose und aggressive Attitüde von Gabber öffnete vielen Heavy Metal-Freaks und Punks die Tür zu elektronischer Musik.
Im Gegensatz zu Techno kultivierte die Hardcore-Szene stets ihren Proll-Charakter: Hass und Zerstörung statt Love und Peace. Die offene Einstellung gegenüber neuen Einflüssen zeichnete jedoch auch Gabber, wie alle anderen Technoableger, aus. Und so entstanden eine Reihe weiterer Subgenres wie Gangsta Hardcore, der Hip-Hop-Einflüsse aufnahm oder Speedcore, der durch seine gesampelten Gitarrenriffs die Nähe zum Speedmetal erkennen ließ. Daneben erweiterten Happy Hardcore, Trancecore, Noisecore, Terrorcore das Genre.
 
*************** 
 
Go Go
Go Go Musik entstand fast zeitgleich mit Rap. Bands wie Arkade Funk, Trouble Funk, Tilt, Sweat brachten afrikanische Trommeln, Chuck Brown & the Soul Searchers und P-Funk unter einen Hut. Hervor kam eine harte, ungerundet rauhe, ehrliche Musik ohne Pausen. Trommeln, Trommeln, stundenlang, bis wir fast der Trance verfallen.

Viel Rhythmus, Soulstimme, Raps, knochentrockene tiefe Keyboards und geslapter Bass erzeugen hörbar tanzbare Takte fürs Volk. Damit der Drummer durchhält gabs gleich mehrere, die sich während des Konzerts ablösten. George Clinton läßt grüßen. Heute kräht leider kein Hahn mehr danach...
 
***************
Goa 
"Eine Goa-Party ist nicht einfach eine Disco unter Kokospalmen, sie ist eine Initiation" (aus dem Film "Liquid Crystal Vision").

Wie der Name schon vermuten lässt, liegen die Wurzeln von Goa an der westlichen Küste des indischen Subkontinents im gleichnamigen Bundesstaat. In der ehemaligen portugiesischen Kolonie haben seit den späten 70ern immer mehr Hippies und Aussteiger unter Palmen am Strand eine zweite Heimat gefunden. Ließ die schwülwarme Hitze des Tages schon den Gang von der Hängematte aufs Töpfchen zu einer schweißtreibenden Angelegenheit werden, so waren die lauen Nächte am Strand doch bestens dafür geschaffen, die Partyvibes zu stimulieren.
Pilze, LSD und der ein oder andere Joint verhalfen dem Spaßfaktor notfalls zusätzlich auf die Sprünge. Im Mondschein wurde zu den Klängen von Grateful Dead, The Doors, Pink Floyd, Neil Young und ähnlich vertripten Sounds die ersten Goa-Parties gefeiert. Mitte der 80er waren es vor allem europäische DJs, die verstärkt Disco, EBM, NDW und Eurodance spielten und Goa eine starke elektronische Note verliehen, die heute zu ihrem Markenzeichen geworden ist.

Der internationale Mix an DJs sicherte von Beginn an den Crossover: Reggae, klassische indische Musik, Rock, Fusion, japanische und südamerikanische Klänge befruchten sich bis heute gegenseitig. Fred Disko, Goa Gil und Ray Castle etablierten in den 80ern Goa als alternatives Partyreiseland. Extrem wichtig für die Entstehung der Goa-Kultur ist dabei der DJ Goa Gil, ein mittlerweile über 50jähriger Hippie aus San Francisco, der in Indien lebt und anerkannter Sadhu (Holy Man) ist. Seine Sets dauern nicht selten zwischen 12 und 24 Stunden!

Nach dem Summer of Love und der Acid-House Welle wurde Goa in den 90ern zunehmend elektronischer und von DJs wie Sven Väth oder Paul Oakenfold in Europa und den USA popularisiert.

Musikalisch zeichnen sich Goa-Stücke durch einen beständigen 4-to-the-floor-Beat aus, der mit einer groovenden Basslinie das Fundament bildet. Darauf werden dann allerlei Hooklines, Melodien, Flächen und eine Unmenge blubbernder, zirpender, zischender und knarzender Sounds gelegt, die die durch Drogen gefilterte Wahrnehmung zum Abflug einladen.

Diese Vielschichtigkeit und das gleichzeitige Miteinander mehrerer musikalischer Ebenen ist das hauptsächliche Unterscheidungsmerkmal des Goa zu anderen elektronischen Musikarten. Zusätzlich ist die Auswahl der Sounds im Goa-Kontext immer irgendwie warm (ähnlich im House), im Gegensatz zu den kühlen Maschinenklängen des Techno.

Das Genre hat sich derweil in diverse Subgenres aufgesplittet, die sich, wenn auch marginal und oft nicht trennscharf, voneinander unterscheiden:

Goa-Trance: Mittlerweile auch als Oldschool bezeichnet, ist die Spielart, die vor allem in den Neunzigern populär war. Sie zeichnet sich durch eine umfassende Verwendung von vielschichtigen Acid-Loops, Soundlayers und Melodien aus (oft unter Zuhilfenahme der berühmten Drum-Machine Roland TB 303 und den Synthesizer-Sounds gleicher Marke). Repräsentative Bands sind Har-el Prussky, Astral Projection, Transwave, Etnica, Spirallianz und California Sunshine. Im Oldschool folgt der Rhythmus dem reinen 4-to-the-Floor-Diktat, während sich in moderneren Spielarten auch Breakbeats einschleichen, um dem Rhythmus mehr Drive und Groove zu verleihen.

Psy-Trance, Psychedelic Trance: Die eher technoid anmutende Fortführung des Goa-Trance, die nicht zuletzt durch verbesserte Produktions-Techniken und kraftvollere Soundsystems auf Partys Ende der Neunziger aufkommt. Sie zeichnet sich durch fettere Kicks und massivere Basslinien aus, welche dem ganzen Sound vor allem im Tieftonbereich mehr Dynamik und Groove verleihen. Psy-Trance wird auch als "Full-On" bezeichnet, da es sprichwörtlich über den Dancefloor fegt. Hier sind vor allem israelische Acts wie Astrix, Infected Mushroom oder Vahel aktiv, aber
auch Künstler anderer Länder wie Talamasca und GMS (Growling Mad Scientists) lassen es ordentlich krachen. In Israel ist Trance- und Psy-Trance-Mucke extrem populär. Sie ist in den "normalen" Charts zu finden und Acts wie Infected Mushroom spielen vor mehreren 10.000 Leuten. Zusätzlich ist die Partyszene und -organisation in Indien und Thailand fest in israelischer Hand.

Progressive: Entsteht ebenfalls um die Jahrtausendwende. Ähnlich wie Psy-Trance pumpt der Bass fett und groovig. Im Mittel- und Hochfrequenzbereich ist Progressive deutlich reduzierter. Hier sind keine oder nur sehr selten Loops oder Melodien zu finden. Die Sounds reduzieren sich auf kleine Knarzer, Knackser, Bleeps und dergleichen, welche in minimalistischer Weise verzerrt und verändert werden. Mehr Wert wird auf intelligente Rhythmus-Variationen gelegt. Insgesamt gilt das Motto "Weniger = Mehr". Hauptsächlich skandinavische Acts wie Sonkite, Atmos oder S-Range sind hier aktiv.

Der Tradition der Hippies folgend, herrscht auf Goa-Partys eine sehr friedliebende, herzliche und respektvolle Atmosphäre. Bewusstseinserweiterung, Liebe, künstlerische und psychische Selbsterfüllung und eine kritische Haltung gegenüber einer leistungsorientierten Gesellschaft kennzeichnen die Goa-Fraggles. Musikalisch sind, im Gegensatz zu anderen Arten elektronischer Tanzmusik, die Einflüsse der psychedelischen Musik der 60er/70er Jahre stark zu spüren. In diesem Sinne stellt die Goa-Szene die legitime Nachfolge der Hippie-Kultur dar.

Goa-Partys finden, sofern jahreszeitlich möglich, sehr gerne in der freien Natur (Wald, Wiesen, Seen bzw. Strand und Palmen) statt und sind nicht nur musikalisch, sondern auch optisch eine Reise in eine andere Welt: farbenfrohe, häufig UV-Licht-aktive Dekoration mit psychedelischen Motiven auf denen Märchenlandschaften (inklusive Feen, Zwergen und Pilzen) oder Mondlandschaften und Alien-Motive dargestellt sind. 3-D Installationen und andere Visuals ergänzen den optischen Trip.

Durch die Verbreitung des Goa-Sounds in den Clubs der alten Welt beklagen viele Ur-Goa-Freaks das "Fehlen des Spirits", die Kommerzialisierung der Partys und der Musik sowie die zu einseitige Fokussierung auf Drogen und Party. Aber solche Diskussionen werden allerorts geführt - früher war halt schon immer alles besser.
 
*************** 
 
 
Hi-NRG 
Hi-NRG oder die Rückkehr des Disco. Kaum war Disco in den späten 70ern nach dem Ausverkauf des einstigen Undergroundphänomens durch Filme wie Saturday Night Fever zum Unwort verkommen, schauten sich die dem Dancefloor verschworenen Produzenten nach einem neuen Schlagwort für tanzbare, elektronische Musik um. Als die beiden Produzenten Ian Levine und Fiachra Trench für Evelyn Thomas den Song "High Energy" schrieben war Disco wieder hoffähig, nur hieß er jetzt Hi-NRG. Zwar war der Sound unter dem Einfluss von New Wave, frühen House-Tracks und neuer Produktionstechnologien (Sampler, Sequenzer etc.) deutlicher auf seine tanzbaren Elemente reduziert worden. Die Zielgruppe war jedoch weiterhin der Underground, der sich seit den späten 60ern um die Danceclubs in Metropolen wie Chicago, New York oder London formierte.

Mitte der 80er Jahre gelang Hi-NRG dann der Sprung in die Hitparaden durch Songs wie "You Spin Me Round (Like A Record)" von Dead Or Alive, Miquel Brown's "So Many Men, So Little Time", Shannon's "Let The Music Play" oder den diversen Projekten des Produzenten Bobby O., wie zum Beispiel The Flirts oder Divine (die anfangs noch unter dem Label 'Italo-Disco' ihr zuhause gefunden hatten). Während die Ursprünge von Hi-NRG zweifellos in den USA liegen, konnten auch einige deutsche Acts wie C.C. Catch oder Modern Talking internationales Aufsehen erregen. In den 90ern entwickelten Jam & Spoon, Culture Beat oder Two Unlimited aus den populären Dancesounds der voran gegangenen Dekade ihren eigenen Hitparadenmix und verhalfen Hi-NRG, nun unter dem Label Eurodance, zu neuen Chartehren.
 
***************
 
House
 
Nach dem Discofieber in den späten 70er Jahren, das John Travolta und Donna Summer zu Weltstars machte, musste sich Clubmusik bis zum Aufkommen von Hi-NRG und House erst ein mal vom großen Hype und dem sich anschließenden Ausverkauf erholen.

Und so wurde Dancemusic zu einer Angelegenheit der Minderheiten: Schwarze und Schwule fanden in den Clubs den Freiraum sich auszuleben, der ihnen im Alltag all zu oft verwehrt wurde. Der Club wurde zu ihrem Treffpunkt und die Musik dort sollte nur eines: tanzbar sein. Dem Discosound entliehen wurde ein einfaches Grundgerüst: ein 4/4-Takt mit einer Geschwindigkeit um die 120 bpm (beats per minute), was ungefähr der Herzfrequenz der Tänzer entspricht; eine Snare-Drum oder Handclaps auf der 2 und 4; zwischen jedem Beat zischt das Hi Hat. Abgerundet wird alles durch eine spacige Melodie und zumeist ein eingängiges Vocalsample.
Frankie Knuckles und Marshall Jefferson waren die Pioniere der neuen Tanzmusik nach Disco. In Chicago legten sie im Schwulenclub Warehouse ihre tanzbare Mischung aus Disco-Scheiben und schnörkelloseren Euro-Importen auf und veröffentlichten auf Trax und DJ International die ersten House-Scheiben. Etwa zeitgleich begann auch in der New Yorker Paradise Garage die schwule Szene zu den neuen Beats zu tanzen. Doch während man in Chicago den Rhythmus in den Vordergrund stellte, zeichnete sich der New Yorker-House-Sound (Garage) durch seine Nähe zum Soul und Gospelvocals aus.

Ab Mitte der 80er setzte dann der große House-Boom ein, als ein neuer Synthesizer (der Roland 303) spacig-verzwirbelte Geräusche zum festen Bestandteil von House werden ließ und die Vocals gleichzeitig immer mehr in den Hintergrund traten. Acid-House war geboren und die netten Smilies grinsten einem spätestens nach dem Summer of Love '87 überall entgegen. M/A/R/R/S und S'Express führten House an die Spitzen der Hitparaden bis mit der Weiterentwicklung hin zum härteren Techno-Sound der House-Stern zu sinken begann. Zunächst noch als Überbegriff für elektronische Tanzmusik verwendet, wurde House in den 90ern zu einer Bezeichnung für ein Subgenre von Techno.

Seit Mitte der 90er belebt House den Dancefloor wieder: mal als Tech-House oder Minimal-House à la Isolee oder als funkige Variante in Daft Punks wegweisendem Longplayer "Homework" von 1997.
 
*****************
 
 
Italo Disco
Italo-Disco, der Name lässt es schon vermuten, hat seine Wurzeln zwischen Südtirol und Sizilien, genauer gesagt im norditalienischen Städtchen Brescia unweit des Lago di Garda, wo Mauro Farina das Licht der Welt erblickt. Einige Jahre später trifft der musikverrückte Farina dann im Pianisten Giuliano Crivellente auf sein kreatives Gegenstück und zusammen gründen sie 1981 ihr Label S.A.I.F.A.M.. Als kurz danach der Toningenieur Sandro Oliva das Trio komplettiert, ist die Zeit reif für Italo-Disco.

Inspirieren lässt sich das Trio von den amerikanischen Hi-NRG-Sounds der amerikanischen Produzenten Bobby Orlando (Divine, The Flirts) und Patrick Cowley, auf den Bands wie die Pet Shop Boys und New Order gerne ihre Anfänge zurückführen. Synthetischer Disco-Funk und leicht eingängige Vocalbegleitung lautet das Erfolgsrezept seit Donna Summer den ersten Discoboom auslöste. Bei Bobby O. und Patrick Cowley funktioniert es erneut und auch Farina und Co. können sich auf den Drive des Erfolgscocktails verlassen.
"Hey Hey Guy" von Ken Lazlo wird der erste Riesenerfolg des Trios und lässt Italo-Disco zum Topseller avancieren. Dass die meisten der Stars nur als Models auf dem Plattencover posieren oder bei Live-Auftritten ums Mikrofon tänzeln, stört niemand. Die Musik zählt und so kann Manuel Stefano Carry, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Den Harrow, Mitte der 80er zu einem der Superstars des Italodance aufsteigen ohne jemals eine Zeile eingesungen zu haben.

Auch die unangefochtenen (nimmt man die Charterfolge als Maßstab) Superstars des Italo-Disco, Radiorama, sind ein Produkt der Marina/Crivellente-Connection, die sich nicht zuletzt aufgrund ihres Labels Time Records so etwas wie ein Monopol auf Italo-Disco erarbeiten können. In Deutschland ist es vor allem das Independent-Label ZYX, das die heimischen DJs mit Futter für ihre Plattenteller versorgt.

Zu sinken beginnt der Italo-Disco-Stern, als groovende Housebeats und schrilles Accciiiid-Geschrei ein neues Dance-Zeitalter anbrechen lassen, das die Füße auf dem Dancefloor mit einer vorher nicht gekannten Härte und Kompromisslosigkeit auf und ab hüpfen lassen. Doch was die Tanzenden seinerzeit beglückte, kann heute nicht so falsch sein: so schmuggelt sich in DJ Hells Plattenkiste immer wieder das ein oder andere Italo-Disco Stück. Auch Gigi D'Agostino flirtet ganz ungeniert mit dem Elekro-Pop der 80er und schafft es damit bis in die Charts. Bleibt abzuwarten, wer das nächste Kapitel in der Italo-Disco-Chronologie schreibt.
 
***************
 
 
Jungle
 
Jungle ist eigentlich die umgangssprachliche Bezeichnung für einen Stadtteil von Kingston (Jamaika). Über die Tapes der dortigen Soundsystems fand der Name seinen Weg nach London und wurde dort der Begriff für eine neuartige Melange aus hoch gepitchten Breakbeats und massiven Reggae-Bässen. Die jamaikanischen Partyschlachtrufe à la "Big up all Junglists" dienten als Samplequelle und als Namensstifter für die Anhänger der neuen Bewegung in England, die sich Junglists nannten.

Seinen musikalischen Ursprung hatte der Jungle-Sound im UK-Hardcore Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre, als sich auf den britischen Raves zu Acid-House und Techno vermehrt Breakbeat-Klänge gesellten, bevor sich diese Spielart der elektronischen Tanzmusik dann als separates Genre abnabelte und zu einer eigenständigen Szene wurde. Plattenlabels wie SOUR, Reinforced und Moving Shadow ebneten der neuen Musik den Weg und hievten das Tempo der Tracks auf ein höheres Level als ihre musikalischen Vorgänger.
Aus UK-Hardcore war Jungle geworden und neue Einflüsse, vor allem aus Ragga und Dancehall drückten den nun immer schneller werdenden Breakbeats ihren Stempel auf. Wilde Drums trafen auf schnelles Patois von Ragga-Künstlern wie General Levy ("Incredible") oder UK Apachi ("Original Nuttah") und sorgten nicht nur in Londons Piratenradios für Furore. Zu den angesagten DJs und Produzenten gehörten Shy FX, M-Beat, Aphrodite, Mickey Finn, DJ Hype oder Rebel MC. Andere Protagonisten wie 4 Hero, LTJ Bukem oder A Guy Called Gerald waren eher von Jazz, Soul und Techno inspiriert und kombinierten dann diese Einflüsse mit den harten Breakbeats zu einer eher melodiöseren Jungle-Variante, die auch Ambient oder Intelligent Jungle genannt wurde.

Wie auch beim Hip Hop liegt die Quelle der Jungle-Drums in den Breakbeats der Funk- und Soul-Klassiker der 60er und 70er Jahre. Die wichtigsten Rhythmen der Jungle-Geschichte, die auch heute noch in vielen Drum'n'Bass-Nummern auftauchen, stammen aus dem Song "Apache" der Incredible Bongo Band und aus "Amen Brother" von The Winstons. Hoch gepitcht auf Rave-Tempo dienten sie Anfang der 90er genauso als Gerüst für die ersten Jungle-Hymnen in Londons Hinterhöfen wie auch drüben in den Großstädten Amerikas für den Ghettorap von N.W.A. und Konsorten.

Mit dem Schwinden des Ragga-Einflusses und einer Erweiterung der stilistischen Vielfalt setzte sich Mitte der 90er als neuer Genre-Begriff zwar Drum'n'Bass durch, das Wort Jungle blieb aber immer präsent und wird heute noch als Synonym für Reggae-infizierte Drum'n'Bass Produktionen verwendet.
 
*****************
 
Miami Bass
 
Wenn wummernde Bässe aus dem vorbeifahrenden Cabrio dröhnen, sich auf dem Rücksitz Stringtanga tragende Schönheiten unter kalifornischer Sonne räkeln und im Takt schütteln, was sie von ihren Mamas mitbekommen haben - dann haben wir es mit einigen der treffendsten Miami Bass-Klischees zu tun. Nicht nur das Tag Team stellt fest: "Whoomp! There It Is!"

Humorvolle, zuweilen auch recht niveaulose Texte setzen auf explizit sexuelle Inhalte. Obwohl dem Hip Hop-Elektro-Hybrid weithin der künstlerische Anspruch abgesprochen wird, erfreut sich Miami Bass in den 80er und 90er Jahren einiger Beliebtheit. Diese Strömung des Hip Hop nimmt zudem enormen Einfluss auf die Entwicklung von Drum'n'Bass und Southern Rap.
Miami behauptet seinen Platz auf der musikalischen Landkarte der USA bereits, seit sich Ende der 40er Jahre Henry Stone im Süden Floridas niederlässt. Er gründet ein Studio, mehrere Musikverlage und Labels sowie einen Vertrieb. Mit Doo-Wop, Blues, Gospel und Rhythm'n'Blues führt er sein Imperium zu Weltruhm. Später verlagern sich die Schwerpunkte auf Florida-Soul und lassen Einflüsse von den Bahamas und aus der boomenden Disco-Szene erkennen.

Mit dem Ende der Spiegelkugel-Ära sinkt auch der Stern Henry Stones. An den Riesenerfolg, den KC & The Sunshine Band einfahren, reicht man einfach nicht mehr heran. Der Putz bröckelt, der einstige Status ist Geschichte. Miamis Musikszene liegt brach.

Die Rettung kommt mit dem Bass, doch zuvor machen sich elektronische Klänge in den Vorlieben der Konsumenten breit. George Clinton versucht sich am Roboter-Sound der Stunde. Afrika Bambaataas "Planet Rock" macht das versammelte Hip Hop- und Elektro-Publikum gleichzeitig mit Kraftwerk und der neuen Technik des Samplings vertraut. Soul, Funk, Disco, Rap und alles, das unter das schwammige Etikett "Dance-Music" fällt, bestimmen die frühen 80er. Sampler und billige Drumcomputer erleben im Elektro-Funk die erste Blütezeit.

Bis zum Miami Bass ist es nur ein kleiner Schritt, den Produzenten wie Pretty Tony, DXJ (unter zahllosen Pseudonymen) und eine ganze Reihe anderer Zeitgenossen vollziehen. Als "Vater des Miami Bass" wird gelegentlich James McCaules aka Maggatron genannt. Der weist diese Ehre jedoch weit von sich: "Wenn irgendjemand diesen Titel verdient hat, dann ist das Amos Larkin."

Wechseln wir kurz die Szenerie und begeben uns in den Plattenladen Royal Sounds in Ft. Lauderdale. Inhaber Billy Hines betreibt nebenher seit 1984 das Label 4 Sight, das sich hauptsächlich handverlesener Electro- und Rap-Acts aus der näheren Umgebung annimmt. Zum 16. Geburtstag macht Billy seinem Sohn Adrian ein besonderes Geschenk: Studiozeit zur freien Verfügung.

Adrian schnappt sich besagten Amos Larkin, der unter dem Alias Leon Greene agiert. Unter Adrians Künstlernamen MC A.D.E. (will meinen "Adrian Does Everything") schustern sie 1985 den bahnbrechenden Track "Bass Rock Express" zusammen: Auch hier grüßt wieder freundlich Kraftwerks "Trans Europa Express" um die Ecke.

"Bass Rock Express" markiert die Geburtsstunde des Miami Bass. In den folgenden Jahren wird ausgiebig nachgelegt, unter anderem von Rodney O, der 1986 mit "Everlasting Bass" einen Hit landet. Neben wuchtigen Bässen, einem Tempo zwischen 90 und 130 bpm und den charakteristischen 808-Kick-Drums avancieren Cartoon-Melodien zum neuen Trend.

Der "Vater" mag umstritten sein, wer sich jedoch "König des Miami Bass" schimpfen darf, steht außer Frage: Luther Campbell verdient sich diesen Titel auf den Spuren Blowflys mit dem Ghetto-Style seiner 2 Live Crew. Der Schlachtruf "We Want Some Pussy" beschäftigt besorgte Eltern und Gerichte. Frauenverachtende Texte verbinden sich mit der überaus arschkickenden Schlichtheit roher 808-Sounds zu einem explosiv-tanzbaren Gemisch.

Womit wir glücklich bei den Hintern angelangt wären. "Boot The Booty" lenkt 1987 jegliche Aufmerksamkeit auf das weibliche Heck. Titel wie "Shake That Ass Bitch" oder "Shake Your Culo" lassen an Präferenzen und Intentionen keinen Zweifel. Miami Bass wird zu Booty Music.

In den ausgehenden 80er Jahren kehrt der zuvor von gesampleten Scratch-Sounds verdrängte DJ kurzzeitig wieder zurück. Zudem halten Salsa-Klänge Einzug in die Bass-Musik. Die Kombination resultiert in der Spielart Latin Bass. MC A.D.E., DXJ und Pretty Tony bleiben unterdessen ihrer Vorliebe für elektronische und vocoderlastige Sounds treu.

Das Tempo zieht auf bis zu 140 bmp an. Der ohnehin schon ausgeprägte Südstaaten-Slang wird bis nahe an die Unverständlichkeit übertrieben. Big Ace fordert "Shake Watcha Mamma Gave You". Seine DJ-Kollektiv Jam Pony Express macht sich mit Miami Bass-dominierten Hip Hop-Mixtapes einen Namen.

Eine weitere Entwicklung trägt einem unter Männern weit verbreiteten Imponiergehabe Rechnung: dem Protzen mit der Potenz ... der Musikanlage im Auto. Techmaster P.E.B. erkennt, was tagtäglich in den rollenden Stereoanlagen passiert. Deren Besitzer gehen MC- und DJ-Skills vollkommen am viel beschworenen Booty vorbei: Sie suchen verzweifelt nach den basslastigsten Passagen, um die Leistungsfähigkeit ihrer Subwoofer unter Beweis zu stellen. Techmaster P.E.B. versorgt diese Klientel mit einem ganzen Album für ihre Zwecke, das umgehend vergoldet wird. Später springen auch andere auf den Car Audio Bass-Zug auf.

Dieser Trend erlebt nach der Jahrtausendwende noch einmal ein Revival. 2003 setzten Fannypack aus Brooklyn oder UNKLE wieder auf Miami Bass, der sich auch in Deutschland einiger Beliebtheit erfreut. Das Bo legt 2000 mit "Türlich, Türlich (Sicher Dicker)" das Fundament, auf dem noch Jahre später Produzenten wie Frauenarzt Erfolge feiern. In Brasilien entwickelt sich auf den Grundlagen des Miami Bass die florierende Szene des Baile Funk.
 
**************
 
 
R'n'B 
Rhythm and Blues bestimmt seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts die populäre Musik der Schwarzen in den USA. Da sich die Art der afroamerikanischen Unterhaltungsmusik im steten Wandel befindet, fasst man unter den Begriff Rhythm and Blues auch sehr unterschiedliche Genres zusammen. Grundlegend bleibt aber der Rückgriff auf die Wurzeln der schwarzen Musik, bestehend aus Gospels, Spirituals und Blues.

In den 40er und zu Beginn der 50er Jahre interpretieren schwarze Big Bands und Kneipen-Combos den Rhythm and Blues als eine Art Tanzmusik. Die treibenden Rhythmen verschmelzen mit den angesagten Vokals des Doo Woop und kirchlichen Gospel-Phrasen später zum Soul. Als Vorreiter der Soulmusik fungiert in dieser Zeit Ray Charles, später folgen dann Marvin Gaye, Barry White oder The Temptations.
Am Ende der 60er Jahre übernehmen schwarze Soulmusiker wie zum Beispiel Ike und Tina Turner Elemente des Rock. Andere Bands wie die Jackson Five vermischen Rhythm And Blues-Elemente mit schnellen, gradlinigen Pop-Rhythmen und kreieren so den Disco-Stil. Auch orchestrale Klänge sind möglich, wie der Philly-Sound zeigt.

In den 80er Jahren kommt der Begriff Rhythm and Blues für afroamerikanische Unterhaltungsmusik aus der Mode, auch interessieren nur noch sich wenige für Soul. Afroamerikanische Pop-Musiker wie Michael Jackson, Janet Jackson, Billy Ocean, Prince, Whitney Houston, Maxwell, Terence Trent D'Arby u.a. lassen zwar in den Melodien nach wie vor ihre musikalischen Ursprünge erkennen, doch der Sound und die rhythmischen Strukturen lehnen sich dagegen meist mehr an weiße Popproduktionen an. Resultat: alles klingt sehr glatt und perfekt. Die Rhythmen betonen nicht mehr so stark Synkopen und werden dadurch 'gerade'. Die technische Entwicklung der elektronischen Instrumente wie zum Beispiel Drum-Computer oder Syntheziser trägt dazu ihren Teil bei. Nur am Werdegang der Künstler zeigt sich der Ursprung in der schwarzen Kultur. Sie etablieren sich zuerst in den nach wie vor vorhandenen Rhythm and Blues-Charts, bevor die weiße Hörerschaft sie wahrnimmt und sich der Erfolg in den Pop-Charts einstellt. Diese Übernahme gipfelt in der Bezeichnung des Rhythm and Blues-Sängers Michael Jackson als King Of Pop.

Zusammen mit Produzent Quincy Jones definiert Jackson Ende der Siebziger auf dem Album "Off The Wall" die moderne Ausrichtung des R'n'B. Funkige Disco-Sounds vereinen sich mit guten, alten Soul-Tunes, heraus kommt eine sexy-groovende, oft schmalzige Version des Mainstream-Pop, die man auch in den späteren Werken eines Teddy Riley oder Puff Daddy wieder findet. Jacko selbst bleibt seinem Sound mit den beiden nächsten Werken "Thriller" und "Bad" zwar treu, doch dank überragenden Superstarstatus in der ganzen Welt und seinem Bestreben "weiß" zu werden, entfernt er sich von seinen afroamerikanischen Roots. Doch die Auswirkungen seines Erfolges sind bis heute spürbar. Die Geburtsstunde des R'n'B war die Revolution, die sich auch in dem Titel "King Of Pop" ausdrückt: Die von der weißen Popkultur Mitte der Achtziger vollzogene Krönung des 'Königs' Michael Jackson war erst möglich, nachdem dieser die Klassenschranken zwischen schwarzer Tanzmusik und weißem Amüsierbetrieb nieder gerissen hatte.

Gegen Ende der 80er Jahre drängt der Hip Hop in den Mainstream, und so kommt auch der R'n'B nicht mehr an der musikalischen Ausrichtung der Subkultur vorbei. Tone Loc, Young MC, DJ Jazzy Jeff and The Fresh Prince sowie später MC Hammer und Vanilla Ice nehmen eingängige Stücke auf. Sie bestehen meist aus Samples, die von großen vergangenen Hits stammen (zum Beispiel MC Hammers "U Can't Touch This" mit Samples von Rick James "Super Freak") und Raps, die nicht mehr von den Schwierigkeiten in den Gettos handeln, sondern von Partys.

In den 90er Jahren kommen zu den unkomplizierten Raps meist im Refrain noch eingängige Melodien. Durch die Verwendung von Gesang im Refrain und Rap-Parts in der Strophe entsteht eine klare traditionelle Songstruktur, die ursprünglich im Hip Hop in Anlehnung an den Funk und Blues nicht vorhanden war. Rap-Musik findet so ein größeres Publikum. Naughty By Nature, Coolio, Will Smith oder Salt-N-Pepa sind typische Vertreter dieser erfolgreichen Richtung, die einen weiteren wichtigen Grundstein für den heutigen R'n'B setzt.

Teddy Riley, Produzent und Mitglied von Guy, ist auf den beiden Platten "Guy" und "The Future" von 1988 und 1990 der erste, der Hip Hop-Beats samplet und darüber reinen, sprich ohne Raps unterbrochenen Soul-Gesang legt. Der Stil erinnert noch an Pop der 80er oder seichte Funkstücke, doch die technisch Verbindung zwischen Hip Hop und Soul ist durch das Samplen vollzogen. Den neuen Stil bezeichnet man zunächst als New Jack Swing. Mit körperbetonten Grooves, die sich in sexy Tanzvideos manifestieren und der im Rap typischen Selbstdarstellung avanciert der R'n'B zur Schlafzimmer-Mugge schlechthin. Ob heiß und schwitzend wie Rileys Blackstreet oder kuschelig wie die Boyz II Men, Marvin Gayes "Sexual Healing" findet im modernen Rhythm And Blues seine Erfüllung.

Vorreiter des New Jack Swing-Sounds ist Sex-Symbol Bobby Brown. Brown klingt mit seinem Album "Don't Be Cruel" zwar sehr nach Michael Jackson, doch auch hier zeigt sich schon die Verbindung der beiden Stile der schwarzen Musik. "My Prerogativ" ist ein internationaler Hit und damals an jeder Straßenecke zu hören. Eher für die ruhigeren Stunden ist Babyface geschaffen. Dieser macht in den 70ern seine ersten Schritte im professionellen Musikgeschäft als Backgroundsänger in der Band von Bootsy Collins. In den 80ern gründet er mit seinem Partner Antonio Reid seine eigene Funkband. Er ist also mit der Verschmelzung von harten Rhythmen und weichem Gesang vertraut. Gemeinsam gründen Reid und Babyface das LaFace Label, auf dem Bobby Brown, Sheena Easton und Karyn White Songs veröffentlichen. Stücke wie "It's No Crime", Whip Appeal, "Never Keeping Secrets", "When Can I See You", die Babyface unter eigenem Namen heraus bringt, sind Anfang der 90er Jahre schon sehr sparsam in der Instrumentation, die Rhythmen ticken langsam und die einzelnen Beats stechen stark hervor. Darüber liegt Gesang mit weichen Linien, Vibrato und gelegentlich gepressten Tönen, die das im Soul zum Ausdruck gebrachte Leid verdeutlichen sollen.

Doch das Paradebeispiel ist P. Diddy alias Puff Daddy. Er schafft es, mit Coverstücken aus den 80er Jahren ("Every Breath You Take" von The Police), die den Refrain des Originals bis auf den Text exakt übernehmen, und eingängigen, schleppenden Beats, Leute für Hip Hop zu begeistern, die sich eigentlich nicht für Sprechgesang interessieren. Seine Idee funktioniert: wochenlang dominieren seine Songs ab Mitte der 90er Jahre die internationalen Charts.

Davon inspiriert und ermutigt verwenden immer mehr schwarze Pop- bzw. Soul-Produzenten Elemente des Hip Hop. Die Fusion von Soul-Gesang mit Hip Hop-Beats wird in den 90er Jahren zum Inbegriff des R'n'B. Dabei kommen gelegentlich auch Raps vor, was die enge und dauerhafte Verwandtschaft zum Hip Hop begründet. Von diesen neg verwandten Stilen unterscheidet sich der R'n'B am deutlichsten durch seine Thematik: Wenn der Hip Hop Protest ist und der Soul für die Liebe steht, dann ist R'n'B der reine Sex.

Dass auch die Breakbeat-Hochzeit des Jungle und Drum'n'Bass Mitte der 90er Jahre nicht spurlos am R&B vorüber ging, beweist unterdessen die 'Rückkehr der Synkopen' (Akzentverschiebungen). Moderne R'n'B-Beats sind ein Meisterstück in Sachen Drum-Programming. Mit Hilfe moderner Sampling-Technologie und einer unglaublichen Vielfalt an synthetischen Tonerzeugungsverfahren strotzen sie vor intelligenten Klängen, Geräuschen und Sounds. Sie sind abwechslungsreich, aufwändig und Ami-phatt produziert und dürfen sogar zu den unmöglichsten Zählzeiten akzentuieren. Die Masse wurde während des Drum'n'Bass-Hypes bereits durch alle dunklen Gassen geschickt. In der Nach-Breakbeat-Ära bringen rhythmische (Raf-)Finessen deshalb niemand mehr aus dem Takt. Eindrucksvoll demonstrieren das z.B. Destiny's Child oder TLC. In London kreieren Craig David und Artful Dodger fast zeitgleich aus Drum'n'Bass-Rhythmik, der 4-on-the-Floor-Atmosphäre des Vocal House/Garage, der Gefälligkeit der "Blackness" und der Chartstauglichkeit des R'n'B einen neuen Stil namens 2Step.

Im Laufe der letzten Dekade erscheinen eine Flut von verschiedenen Bands, Sängern und Sängerinnen, die diese neue und kommerziell erfolgreiche Richtung einschlagen, die genannten Destiny's Child und TLC oder Boyz II Man sind nur die erfolgreichsten. R. Kelly erarbeitet sich über Jahre hinweg eine Fangemeinde, zählt heute zu den Superstars und gilt mittlerweile schon fast als idealtypischer R'n'B-Musiker. Mary J Blige macht zunächst mit hartem Image und deftigem Gesang auf sich aufmerksam. Mit der Zeit verändert sie ihr Auftreten und singt weichere Töne. Mittlerweile sind diese Kooperationen eine Selbstverständlichkeit: Mary J. Blige, Aaliyah und Missy Elliott arbeiten mit Timbaland, Destiny's Child mit Wyclef Jean und Beyoncé Knowles mit The Neptunes.

Derweil kümmern sich einige Newcomer um die Progession des Genres. Estelle sorgt mit "Shine" ebenso für euphorischen Applaus, wie die Musicalsängerin Elisabeth Withers mit ihrem Majordebüt "It Can Happen To Anyone".
 
***************
 
Salsa 
Salsa heißt Soße. In Fidel Castros diktatorisch regiertem Kuba brannte Anfang der 70er der passende Herd (wenn es Gas gab in Havannas Hinterhöfen). Die Ingredienzen: Ein bißchen US-amerikanische Fusion, ein paar schräge Bläsersätze, ein fetziges Tempo, eine schrille Rockgitarre, sowie viel Freiheit. Ein fetter Rhythmusbackground mit Bongos, Congas oder Timbales darf dabei NIE fehlen. Ein Rhythmus bei dem man mit muß. Am besten funky Bass dazu und Gesang/Stimme drauf: fertig ist die Soße. Gewürzt wird mit allem was Musik macht. Gegessen wird feurig und scharf. Der König der Köche: Tito Puente, "El Rey" (Santana verkaufte seine Interpretation von Puentes Oye Como Va millionenfach) Die Genießer: Alle. Vom Baby bis zur Greisin - zumindest in Kuba.
 
 
Ska 
Als in den 50er Jahren zum ersten Mal heiße musikalische Ware aus Amerika in Form von Rhythm'n'Blues, Jazz und Gospel in jamaikanischen Dancehalls ertönt, öffnet dieser "Kulturschock" die Türen für neue kompositorische Wege auf dem Eiland. Traditionelle jamaikanische Rhythmen und Gesänge (Mento) fließen in die neugewonnenen Musikformen ein, der Ska ist geboren. Der Ausdruck stammt nach weitverbreiteter Meinung von einem Gitarristen, der während einer Jam-Session mit Prince Buster anstatt dem Downbeat den Offbeat betont, woraufhin Buster lautmalerisch wiederholt: "Do again this 'Ska'".

Als Jamaika im Jahr 1962 unabhängig wird, ist der Ska schon sehr populär: Hits wie "Oh Carolina" von den Folkes Brothers, "Boogie In My Bones" von Laurel Aitken oder Derrick Morgans "Don't Call Me Daddy" verkaufen sich blendend. Der weltweite Durchbruch gelingt mit Millies "My Boy Lollipop", das sieben Millionen Exemplare absetzt.
Die Legende sagt, dass die karibischen Inseln 1967 von einer großen Hitzewelle heimgesucht wurden. Dies machte den schweißtreibenden Tanz zu Ska bedeutend schwieriger, wodurch das rhythmisch langsamere Rocksteady entstand. Desmond Dekkers "007 Shanty Town" entert die britischen Charts und zeiht bald weitere Vertreter nach sich. Rocksteady mausert sich zur Musik der britischen Arbeiterklasse, die Anhänger rasieren sich den Schädel, nicht zuletzt, um sich von den verhassten, langhaarigen Hippies zu distanzieren.

Das Subgenre Skinhead Reggae ist geboren. Die Hymne jener Zeit liefern Symarip mit "Skinhead Moonstomp". 1976 komponiert der britische Skinhead Reggae-Fan Judge Dread den Klassiker "Bring Back The Skins".

Nach einer kleinen Dürreperiode, in der der Punkrock das Vereinigte Königreich erfasst, bringen einige Bands Ende der 70er Jahre den Ska wieder in des Volkes Munde: Madness, The Specials, The Selecter und Bad Manners mischen die Wut von The Clash mit frühem Jamaica Ska. Das neu gegründete Label 2-Tone steht symbolisch für den Kampf gegen rassistische Spannungen zwischen Schwarzen und Weißen in der englischen Gesellschaft. Die zwei Farben im Karomuster werden artworktechnisch zum Aushängeschild.

Ende der 80er Jahre treiben Bands wie The Busters, No Sports, Bluekilla, Blechreiz und The Butlers auch hierzulande ein Ska Revival voran. Heute existiert eine kaum mehr fassbare Vielfalt an Genres. Ob Ska-Jazz, Celtic Ska, Latin Ska, Skacore oder Dancehall: der Beat lebt munter weiter. Empfehlenswerte Vertreter, die man einmal live gesehen haben muss, beinhalten Dr. Ring Ding & The Senior Allstars, Hepcat, Mark Foggo's Skasters, The Toasters, Bad Manners, The Slackers und die Mighty Mighty Bosstones.
 
 
*************
Tango 
Tango ist fordernde Leidenschaft, Sehnsucht, Melancholie und natürlich das Spiel zwischen Mann und Frau. Er erzählt von der gescheiterten Liebe, von gesellschaftlichen Missständen, von erotischer Leidenschaft, vom Kampf des Lebens, von schmerzlichen Gefühlen, dem der Prostituierten verfallenen Jungen und dem der Prostitution verfallenen Mädchen.

Heute ist insbesondere der Standardtanz Tango mit seinem geraden, von der europäischen Polka beeinflussten 2/4 oder 4/8-Takt auf der ganzen Welt verbreitet. Die synkopierten Rhythmusmotive sorgen ebenso für das erotisch-strenge Erkennungsmerkmal des Tango wie das allgegenwärtige Bandoneon, ohne das sich kein Tango Tango schimpfen darf.
Über die Herkunft des Wortes Tango gibt es nach 1800 erste schriftliche Belege, die Tango als südamerikanisches Synonym für Feste der versklavten Afrikaner beschreiben. Der Tango, wie wir ihn heute kennen, beginnt sein irdisches Dasein Ende des 19. Jahrhunderts. Einwanderer aus Europa und die in Argentinien zunehmende Urbanisierung der Bevölkerung sorgen in der Metropole Buenos Aires für ein buntes kulturelles Neben- und Miteinander.

Das bleibt musikalisch natürlich nicht ohne Folgen. Europäische Lieder, Rhythmen und Tänze treffen auf argentinische Musiktraditionen. In diesem Kontext formt der Tango sein heutiges Erscheinungsbild aus. Die Tangoensembles seiner Zeit bestehen aus Violine, Gitarre und Flöte. Erst als das aus Deutschland importierte Bandoneon den Bandklang komplettiert, ist das klassische Tangoorchester geboren.

Eine der ersten international erfolgreichen Tangonummern ist das von Angel Gregorio Villoldo (1868-1919) komponierte "El Chóclo", das 1905 um die Welt geht. Als außerargentinische Tangometropole entpuppt sich das französische Paris. Von hier aus beginnt der Tango seinen Siegeszug durch Europa. Und hier mutiert der argentinische Volkstanz Tango zum Gesellschaftstanz. Das ist vor allem dem in Paris arbeitenden Tanzlehrer Camille de Rhynal zu verdanken, der 1907 in Nizza ein erstes erfolgreiches Tangoturnier veranstaltet.

Die mit dem Tango verbundene tänzerische Erotik und Exotik ruft jedoch alsbald die Sittenwächter auf den Plan, die in den "unschicklichen Negertänzen" eine Verwilderung der Sitten sehen. Dazu trägt u.a. die Herkunft des Tango bei, der in den Rotlichtbezirken von Buenos Aires seinen Ursprung nimmt. Aber auch an den erotischen tänzerischen Bewegungen nimmt die Sittenpolizei Anstoß.

Dennoch gelingt es nicht den Vormarsch des Tango aufzuhalten. Bis etwa 1912 hat er sämtliche europäischen Metropolen erobert und bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges spiegelt sich die Popularität des Tango in zahlreichen Tango-"Moden" wieder. Während in London der Tango-Tea (Five O'Clock Tea) erfunden wird, frönt man anderenorts den Tango-Frisuren, -Schuhen oder -Parfüms. In Paris erfindet man das bis heute typische Tangokleid, das durch einen langen seitlichen Schlitz das Bein der Dame freilegt. Dies nicht nur aus erotischen Gründen, sondern auch wegen der Ausführbarkeit der Tanzschritte.

In seiner südamerikanischen Heimat nimmt der Tango ebenfalls ein bestimmende Rolle im Musikgeschehen ein. Um etwa 1920 haben sich die ersten Tango-Stile herauskristallisiert: der Tango Milonga (instrumental), der Tango Romanza (instrumental oder vokal) und der Tango Canción (vokal). In der Folgezeit etabliert sich der Tango zunehmend als Sprachrohr für die Probleme gesellschaftlicher Minderheiten. Etliche Tango-Sänger und -Autoren müssen ihr Land verlassen und protestieren mit ihren Liedern aus der Emigration.

Aus der inhaltlich gemäßigten und politisch erlaubten Variante des Tango kristallisiert sich Carlos Gardél (1887 - 1935) als populärster Vertreter heraus. Auf sein musikalisches und filmisches Vermächtnis greift u.a. die exzellente Neotango-Formation Otros Aires, die sich ab 2005 in Szene setzt, zurück und arbeitet auditive und visuelle Gardél-Samples in ihre Stücke ein.

Im Tango-Kontext nicht unerwähnt bleiben darf Astor Piazzolla (1921 - 1992), der aus der künstlerischen Entwicklung des orchestralen Tango nicht wegzudenken ist. Seiner Schaffenskraft sind einige Tango-Klassiker zu verdanken, ohne die die Welt bedeutend ärmer wäre. Er ist es auch, der in den 70er Jahren die E-Gitarre im Tango etabliert. Die wohl bekanntesten "Volks"-Tangos sind jedoch "La Cumparsita" (Gerárdo Mattos Rodriguez, 1917) und "Adiós Muchachos" von Julio César Sanders (1928).

Nach dem ersten Weltkrieg taucht der Tango in Europa in veränderter Gestalt wieder auf. Er ist sanfter, weicher, verhaltener und langsamer geworden und man spricht jetzt statt vom Tango Argentino vom Tango Milonga. Die deutsche Variante gipfelt in den bis heute gültigen Schlagern "Ich Küsse Ihre Hand Madame" (1928), "In Einer Kleinen Konditorei" (1928) und "Capri-Fischer" (1946).

Auch auf tänzerischer Seite tut sich einiges. In England finden ab 1920 mehrere Konferenzen statt, die sich der Standardisierung der Schritte widmen. 1929 ist es endlich soweit und die zum Teil bis heute gültigen Kombinationen erobern die Tanzcafés. Der Tango zählt nun zu den Standardtänzen.

Während der 30er Jahre erobern einige Tango-Filme die Lichtspielhäuser und weitere Tango-Kompositionen die Herzen der Menschen. Trotz seiner Herkunft darf der Tango auch während der Nazizeit getanzt werden, doch nach dem zweiten Weltkrieg verliert er an Popularität. Erst in den 60er Jahren kehrt er mit dem "Badewannen Tango" und dem "Kriminaltango" wieder in die Charts zurück.

In den 70er und 80er Jahren öffnet sich der Tango moderner Popularmusik und integriert Rock- und Jazzmusikelemente ebenso wie E-Gitarren, Synthesizer und Schlagzeug. Die 90er sind, wie in vielen anderen Genres, auch im Tango geprägt von der Wiederentdeckung durch Elektronikkünstler, die etliche Original-Samples in ihre Dancefloor-Attacken einarbeiten und die Entwicklung des Neo-Tango vorantreiben.

In den 2000er Jahren findet diese Entwicklung ihren ersten Höhepunkt in den äußerst erfolgreichen Tango-Projekten Otros Aires, Bajofondo Tango Club, Narcotango und Gotan Project. Mit "Lunático" und "Dos" erscheinen 2006/2007 zwei Alben, die von der hohen Qualität des inzwischen ausgereiften Neotango berichten.
 
************
 
Trance 
Trotz aller Versuche von Technopuristen, Trance als Genre die Lebensberechtigung abzusprechen, hat sich selbiger als Bezeichnung für poppigen, melodiebeladenen Techno durchgesetzt. Dass Trance im ursprünglichen Sinne einen Zustand bezeichnet, der vor allem durch Repetition erreicht werden kann, ist seit dem Beginn elektronischer Popmusik ein offenes Geheimnis: "The soul of the machines has always been part of our music. Trance always belongs to repetition, and everybody is looking for trance in life. (?) So the machines produce an absolutely perfect trance." (Ralf Hütter, 1991, in: Kraftwerk: Man Machine and Music by Pascal Bussy).

Trance als eigener Stil entstand zu Beginn der 90er Jahre, als sich die noch junge Techno-Bewegung in eine "Immer schneller"- und eine "Mehr Melodie"-Fraktion aufspaltete. Vom ursprünglichen Techno wurde das straighte Rhythmusgerüst übernommen, das Tempo aber bei rund 130 bpm belassen. Darauf bauten dann die melodischen Flächen auf und wurden durch Samples und Vocals zusätzlich aufgepeppt. Pionier des neuen Stils in Deutschland war neben Sven Väth, der mit seinem 93er Longplayer "Accident In Paradise" Maßstäbe setzte, der Berliner Cosmic Baby, dessen Album "Stellar Supreme", als Meilenstein gilt. Während sich die Berliner Szene aber mehr dem härteren Detroit-Techno zuwandte, machte Väth in seinem Club 'Omen' die trancigen Klänge populär. Auf der Insel war es vor allem Paul Oakenfold, der England zur vielleicht größten Trance-Hochburg in Europa machte.
Als erstklassiger Partysound sicherte sich Trance seinen Anteil an der Technobewegung und ist heute nicht mehr aus der Genrevielfalt wegzudenken. Von den eher poppigen Stücken Paul Van Dyks bis hin zu progressivem oder Goa-Trance wird alles geboten, um die frühen Morgenstunden auf einem Rave zum sinnlichen Erlebnis werden zu lassen.

Nach oben