Genre Guide "POP"

auch der Genre POP hat viele verschiedene Arten anzubieten.

2Step
 
Drum´n´Bass galt Mitte bis Ende der 90er als Zukunft der Popmusik. Warum daraus leider nichts wurde, weiß das Scene-Mag forecast: "Drum'n'Bass ist Männermusik, hart und ungestüm. Eigentlich ja gut, aber leider ist der Frauenanteil an solchen Veranstaltungen sehr tief, und das finden die Jungs dann auch nicht so doll. Dieser Zustand fiel auch einigen Londoner Produzenten auf und so suchten sie nach einer Musik, die auch den Mädels gefällt und sie auf die Tanzfläche zurückholt. Die richtige Mischung bestand für sie aus Drum'n'Bass, Garage (der ursprüngliche, discohafte und vocal-lastige House) und R'n'B. Das Ganze garniert mit einem MC und fertig war ihr Geheimrezept." Da mich diese Theorie sehr amüsiert, und ihr Wahrheitsgehalt nicht geleugnet werden kann, will ich sie hiermit (im Namen des Herrn) gerne in die Gerüchteküche einschmuggeln.

Ich kann 2Step auch verstehen als die notwendige Weiterentwicklung (LTJ Bukem würde sagen "logical progession" ) der Popmusik. Das Drum'n'Bass nicht der Höhe-, Ziel- und Endpunkt musikalischer Evolution sein wird, daran hat nie jemand gezweifelt. Wir leben in der Post-Drum'n'Bass-Ära. Die Musik hat trotz widriger Umstände nicht aufgehört, sich immer wieder neu zu erschaffen.
2Step bedient sich der Best-of-Zutaten der bedeutendsten Stile des ausgegangenen Jahrhunderts. Die rhythmische Vielfalt und Verschrobenheit des Drum'n'Bass, die 4-on-the-Floor-Atmosphäre des Vocal House/Garage, die Gefälligkeit, die "Blackness" und die Chartstauglichkeit des R'n'B sind die prägendsten Stilmerkmale von 2Step.

Am besten ist das derzeit (Stand 11/00) zu hören auf den Alben von Craig David( er hat auch den 2Step poplulär gemacht ), Zed Bias und MJ Cole. Da 2Step aber gerade erst geboren wurde, dürfte die Blütezeit, und damit leider auch eine ungesiebte 2Step Schwemme noch vor uns liegen. Ohren offen halten auf den entsprechenden Partys ist angesagt...
 
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Adult Contemporary
 
Als Adult Contemporary bezeichnet der Hörfunk eines seiner Formate, das sich an den Vorlieben eines erwachsenen Publikums orientiert. Die Generation der 25- bis 49-Jährigen steht im Zentrum des Interesses. Ihnen bietet Adult Contemporary (AC) einen bunten Mix aus aktueller und vergangener Musik für gehobene Ansprüche.

Die Geburtsstunde des AC lieg irgendwann in der Singer/Songwriter- Bewegung der 70er Jahre. Der intellektuelle Anspruch an Texte und der Qualitätsanspruch an die Musik gebiert in den Post-68ern eine ganze Generation aussagekräftiger Poeten und Musikanten, die vornehmlich ein erwachsenes Publikum ansprechen. Eric Clapton, Johnny Cash, Leonard Cohen u.v.a. bestimmen zunächst das Geschehen.
Im Laufe der Zeit erhalten auch veritable Popmusikkünstler und -Bands Zugang zur Musik des Establishments. Lionel Ritchie, Aerosmith, Lenny Kravitz, Tina Turner, Joe Cocker, Melissa Etheridge, U2, Alanis Morissette, Sheryl Crow, Celine Dion, Seal u.v.a bestimmen mehr und mehr das Airplay der AC-Radiostationen.

Die Sparte AC teilt sich in der Folge in Hot AC und Soft AC. Hot AC (also known as Adult Top 40 und Adult Alternative) versteht sich als Spiel- und Tummelplatz für Mainstream-Pop und bedient sich hauptsächlich der Charts, lässt jedoch harten Rock und Black Music (R&B, Soul, Rap und Hip Hop) außen vor. Paradekünstler des Hot AC sind Madonna und Sting.

Neben der Hot AC-Sparte etabliert sich auch Soft AC (aka Lite AC) als gerne gehörtes Format. Populärste Sendestation dafür ist bis heute der New Yorker Sender "Lite FM", der mit softer Popmusik vor allem die weibliche Bevölkerung anspricht. Lionel Richie und George Michael gelten als Ikonen des Soft AC.

In jüngster Zeit etabliert sich neben diesen Formaten ein weiteres, das sich durch seine Nähe zum Jazz auszeichnet. Smooth Jazz, Crossover oder New Adult Contemporary (NAC) lauten die vielfältigen Bezeichnungen für eine Musik, die ihre zum Teil massiven Jazzeinflüsse offen kommuniziert. Sade und Matt Bianco sind frühe Vertreter dieser AC-Spielart, die auch die ehemals verschmähte Black Music wieder ins Genrespektrum integriert.

Das moderne Erscheinungsbild des New Adult Contemporary wird vor allem geprägt durch das Frollein-Wunder, das die Musikwelt um die Jahrtausendwende erfährt. Norah Jones, Diana Krall, Rebekka Bakken, Oleta Adams, Anita Baker ... heißen die Protagonistinnen dieser Bewegung, die die Herzen eines anspruchsvollen erwachsenen Publikums vollumfänglich befriedigen.
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Britpop
 
Gepoppt wurde in Britannien seit Jahrzehnten. Beim Beat der Beatles brachen Tausende zusammen. Zusammen brach der gesamte britische Beat nie. Er wurde nur totgeschwiegen.

Ge-hype-d und von der Presse durchgenudelt, mit neuem Label versehen, erstand der Phönix aus der Asche mit Namen Blur, Oasis, Pulp, Cast, Suede, Ash oder Kula Shaker.
Kalt den Rücken runter läuft es den Bands beim Gedanken an das Label Brit-Pop. Doch wehren hilft nichts: Fans und Fanmaschinerie haben sich dafür entschieden.

Die Mädchenherzen schmelzen, die Drogen fließen, die Exzesse...Blurs Psychopharmaka, der Nummer-Eins-Hit-Single- Krieg zwischen Blur und Oasis mit Aids-Verwünschung, HERoIN Trainspotting, Liam Gallaghers MTV-Video-Award- Bierattacken. Alles wie gehabt.
 
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Calypso
 
Der Höhepunkt der Calypso-Welle schwappt Mitte der 1950er Jahre über Trinidad und Tobago. Die Einwohner der nördlich von Venezuela gelegenen Karibik-Inseln tanzen ausgiebig zu den Weisen der Calypsonians, wie die Calypso-Musiker genannt werden. In dieser Zeit entsteht das wohl berühmteste aller Calypso-Lieder: "Banana Boat Song"! In der Interpretation von Harry Belafonte gelangt der Karibik-Schlager Anfang der 60er zu Weltruhm.

Entwickelt hat sich der Calypso gut 100 Jahre früher. Aus der Synthese afrikanischer und westindischer Folklore entwickelt er sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ausschlaggebend: Die Abschaffung der Sklaverei in Mittelamerika 1838.
Im Angesicht dieser schrecklichen Historie und der nach wie vor währenden Kolonialherrschaft beherrschen sozialkritische Inhalte die Texte. Politische Statements sind nicht nur in den Reimen der "Chantwells", wie die singenden Geschichtenerzähler auf Trinidad genannt werden, hörbar, sondern auch in der Wahl der Künstlerpseudonyme: Lord Executer, Attila de Hun, Roaring Lion, Growling Tiger und Mighty Terror geben dem Aufbegehren einen Namen.

Doch die Karibik wäre nicht die Karibik, würde sie trotz widriger Umstände das Feiern vernachlässigen. Und so bestimmt Heiterkeit, Lebensfreude, Humor und die gute, alte Liebe die andere Hälfte der Inhalte.

Die Musik spiegelt mit ihrer Leichtfüßigkeit diese Lust am Leben deutlich wider. Der karibische Karneval etabliert sich deshalb vermehrt zur Spielstätte des Calypso. In seinem bunten Treiben entsteht und setzt sich um 1900 auch die Bezeichnung Calypso durch.

Die Popularität des Genres steigert sich in den folgenden Jahrzehnten ununterbrochen, während die Erfindung und massenhafte Verbreitung von Radio und Schallplatte dem Boom so richtig einheizt. Mitte der 50er erreicht er nicht nur in der Karibik seinen Höhepunkt, er schwappt auch nach Europa und Amerika über.

Erlaubt ist, was Spaß macht. Wirklich ernst zu nehmende Erkennungsmerkmale existieren für den Calypso nur Wenige. Die musikalischen Parameter folgen keinen deutlich markierten Gesetzen. Einzig die Improvisation und einige landestypische Instrumente sind als Stilmittel beliebt. Erstere gewährleistet, den neuesten Tratsch und Klatsch oder aktuelle Nachrichten in die Shows einzutexten. Letztere sorgen für den nötigen Karibik-Flair.

Nach dem zweiten Weltkrieg begleiten immer häufiger Steeldrum-Bands die Calypsonians. Aufgrund der Abschaffung des bis dato herrschenden Trommelverbots (das die britische Kolonialmacht 1883 einführte), schwingt sich die Ölfasstrommel schnell zum Wahrzeichen und Nationalinstrument Trinidads und Tobagos empor.

Nachdem die Inseljugend den Calypso in den 70ern zunehmend verschmäht, nehmen seine Väter die Herausforderung der Runderneuerung an. Soca, die Verschmelzung von Soul und Calypso beginnt in den 80ern die Stilpalette farbiger und vor allem moderner zu gestalten. Inzwischen gibt es viele Spielarten. Rapso (Rap und Soca), Ragga-Soca, Disco-Soca und Chutney-Soca (der den indischen Anteil in den Vordergrund stellt) sind nur einige davon.

Am besten verschafft man sich einen persönlichen Hör-Eindruck. Hervorragend gelingt das mit "Calypso - Vintage Songs from the Caribbean", einer Compilation des renommierten Worldmusic-Labels Putomayo (2002), oder mit "Calypso@Dirty Jim's" (Emi, 2005), auf der sich die noch lebenden Legenden des Genres ein Stelldichein geben. Lord Superior, Calpyso Rose (eine der wenigen Sängerinnen), Mighty Sparrow, Bomber, Relator und Mighty Terror reichen sich auf "Calypso@Dirty Jim's" die Studioklinke noch einmal in die Hand, um ihre Botschaft für die Nachwelt zu konservieren, was ausgezeichnet gelingt!
 
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Country
 
Während Country-Musik in den USA die erfolgreichste Musikrichtung darstellt, ist der Ruf dieses Genres in Europa eher ambivalent. Häufig wird es als wertekonservativ und reaktionär disqualifiziert oder belächelt, und das, obwohl der Country-Pop als Schlagerform fest etabliert ist. Schon 1979 hätte die deutsche Countryformation "Truckstop" beinahe den Grand Prix d'Eurovision gewonnen und allen Moden zum Trotz hat Country immer wieder zeitlose Texte ("Freedom is just another word for nothing left to loose", Kris Kristofferson) und zeitlose Musik hervorgebracht.

Ihre Anfänge hat die Country-Musik in den Liedern und Instrumenten, die die frühen Einwanderer aus Irland, England oder Schottland mit in die neue Welt bringen. Die Bundesstaaten Kentucky und Tennessee gelten als deren Ursprungsregion. Die in diesen ländlichen Bergsiedlungen beheimatete Musik entwickelt sich Anfang des 20. Jahrhunderts unter dem Einfluss der zunehmenden Urbanisierung und der Übernahme von Elementen des Blues, der seine Wurzeln in der afroamerikanischen Bevölkerung hat, zur Country-Musik.
Zu Beginn der Zwanziger Jahre prägen viele lokale und regionale Stilrichtungen die amerikanische Musiklandschaft. Massenmedien wie Radio und Schallplatte treten ihren Siegeszug an, ohne vorerst der ländlichen Musik ihre Aufmerksamkeit zu schenken.

Erst 1923 sind auch Country-Musiker im Radio zu hören. Gespielt wird live, von Schallplattenaufnahmen dieser Oldtime-Musik ist noch nicht die Rede. Die Zuhörer regieren begeistert auf diese Musik und bald werden regelmäßige Radio-Shows eingerichtet die sich dieser neuen Stilrichtung widmen, die sogenannten "Barn Dance Shows". Der texanische Sender WBAP macht am 4. Januar den Anfang, 1924 folgt der Chicagoer Sender WLS.

Das Instrumentarium der Live-Radio-Bands umfasst traditionell Gitarre, Banjo, Bass, Mandoline und Geige. Auch Klavier, Akkordeon oder Mundharmonika finden sich in den Arrangements wieder. Ebenso die Autoharp (ein Zither-ähnliches Musikinstrument) und die Steel-Gitarre, die außerhalb des Country-Kontextes sehr selten in Erscheinung treten.

Als kommerzielle Geburtsstunde der County-Musik gilt der 14. Juni 1923. An diesem Tag fährt der Produzent Ralph Peer mit einem transportablen Aufnahmestudio nach Atlanta, um mit dem Fiddler Johnny Carson zwei Songs einzuspielen. Nach überraschend guten Verkaufszahlen bietet die Firma Okeh Records ihm einen Vertrag an. Das neue Genre erfährt so seine Anerkennung.

Ralph Peer führt 1925 die Bezeichnung "Hillbilly" für das neue Genre ein, das bis dato noch keinen Namen hat. Die legendäre "Grand Ole Opry Show", eine vom Sender WMS aus Nashville konzipierte, vorerst regionale Samstagabend-Show, geht erstmalig am 28. November 1925 auf Sendung. Ab 1928 versorgt sie den gesamten nordamerikanischen Kontinent mit Country-Musik.

Die steigende Popularität geht mit einem enormen Zuwachs an Sängern und Musikern einher, die sich an dieser Stilrichtung probieren. Ab 1925 treten die ersten "Singing Cowboys" auf, die romantisch verklärt in Kostümen die Bühne betreten. Carl T. Sprague ist der erste, von dem eine Platte aufgenommen wird. Diese Variation des Country erfährt in den 30er-Jahren einen enormen Zuspruch und spitzt sich in den 40er Jahren mit den ersten Western-Filmen zu, in denen ein nostalgisches Cowboy-Klischee (Tex Ritter, Roy Rogers, Gene Autry) immer stärker zum Symbol der nationalen Identität der USA gerät.

Noch immer ist Ralph Peer die treibende Kraft, die die Kommerzialisierung des Country vorantreibt. Die von ihm 1927 initiierten "Bristol-Sessions", bei denen insgesamt 76 Musiker auftreten, ist ein Meilenstein dieser Entwicklung. Hier werden Jimmy Rodgers und die Carter Family entdeckt, die anschließend Plattenverträge erhalten und die noch heute von vielen Musikern als Vorbilder angegeben werden.

In den dreißiger Jahren beginnt eine Ausdifferenzierung des Country: Bob Wills prägt den Western-Swing durch die Übernahme jazziger Elemente, in Kneipen und Bars im Umfeld der texanischen Ölfelder entsteht die raue Richtung des Honky Tonk, der erstmals 1937 im Al Dexter-Song "Honiky Tonk Blues" Erwähnung findet. 1940 entwickelt Bill Monroe den anspruchsvollen, weil schwer zu spielenden Bluegrass.

Ab 1945 beginnen die "Goldenen Jahre" der Country-Musik. Die dominierenden Größen dieser Zeit sind Ernest Tubb und Hank Williams, dem mit seinem Auftritt in der Grand Ole Opry am 11. Juni 1949 der Durchbruch gelingt.

Seinen Namen erhält das Genre erst 1949 durch das Billboard-Magazin, das die Bezeichnung "Hillbilly" durch "Country & Western" ersetzt.

Mitte der 50er Jahre gerät der Country durch die Entstehung des Rockabilly und des Rock'n'Roll in seine erste Krise, Bill Haley, Jerry Lee Lewis, Buddy Holly, Elvis Presley oder Eddie Cochran prägen das musikalische Geschehen.

Auf diese Entwicklung reagieren die führenden Produzenten mit einer Annäherung des Country an den zugänglicheren Pop. Der Geige wird weniger Platz eingeräumt, Studiomusiker und Chöre werten die musikalische Qualität auf, die musikalischen Präsentationen büßen aber an Originalität und Authentizität ein. Diese Entwicklung firmiert in den 50ern und frühen 60er Jahren unter der Bezeichnung "Nashville Sound", dessen erfolgreichste Vertreterin Patsy Klein ist und in den 80er Jahren einen Aufschwung erlebt durch radiotaugliche, glattgebügelte Stars wie Linda Ronstedt, John Denver oder Olivia Newton-John.

1955 feiert Johnny Cash seine ersten Erfolge, und auch der Fingerpicking-Gitarrist Chet Atkins spielt fernab vom Nashville-Mainstream erfolgreich gegen die Krise an.

Merle Haggard richtet sich in den 60er und 70er Jahren explizit gegen die Vereinnahmung des traditionellen Country durch den Nashville-Sound. Durch seinen Song "Oakie From Muscogee" (1969) gilt er jedoch auch als Auslöser eines reaktionären Trends gegen Hippies und Liberale in der Country-Musik.

In den 60ern treten Country-Ladies wie Tammy Wynette, Dolly Parton und Dottie West ins Rampenlicht, gleichzeitig erlebt die Folk-Musik (Pete Seeger, Bob Dylan, Joan Baez) ein Revival.

Bob Dylan und vor allem die Byrds mit ihrem Album "Sweetheart Of The Rodeo" prägen den Country-Rock, dem sich später auch Bands wie die Eagles, Dire Straits oder Keith Urban zuordnen lassen.

Auch Willie Nelson, Waylon Jennings oder Tompall Glaser verlassen in den 70er Jahren Nashville Richtung Texas, wo bereits eine frische und lebendige Country-Szene existiert, die sich aus den starren Konventionen entzieht - von einer Outlaw-Bewegung ist die Rede.

Ab 1990 blüht der New Country auf, eine Generation um Garth Brooks, Alan Jackson und Tim McGraw nähern sich mit ihren mit Rock-Instrumentarium vorgetragenen Kompositionen mit Erfolg wieder dem Pop, ohne die grundlegenden Wurzeln des Country zu verleugnen.

Eine weitere Spielart des Country findet sich im eher rauen Alternative Country, der Elemente des Punk mit ursprünglicher amerikanischer Musik, mit Country, Folk und Blues, verbindet. Klassischstes Beispiel hierfür sind Johnny Cashs "American Recordings", produziert vom Hip Hop- und Heavy Metal-Produzent Rick Rubin. Die Texte sind düsterer geworden, der Alternative Country setzt sich mit der Kehrseite des amerikanischen Traums auseinander: mit Verlust, Scheitern oder dem Tod.
 
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Dancehall
 
"Der Reggae der 70er Jahre war rot, grün und golden. In der Dekade darauf trug er Goldketten." (Mutabaruka, jamaikanischer Dub-Poet und Musiker)

Der Begriff "Dancehall" bezeichnet in seiner eigentlichen Bedeutung die Austragungsorte von Partys, fungiert aber bereits seit den 50er Jahren als Synonym für die ebenda, bei sogenannten Bashments, gespielte Musik. Im britischen Sprachgebrauch findet man entsprechend auch die Bezeichnung "Bashment". Zu einem eigenen Genre entwickelt sich Dancehall erst später.
Ende der Siebziger erfährt die alles beherrschende Musikrichtung Jamaikas tiefgreifende Umstrukturierungen, die nicht zuletzt in gesellschaftspolitischen Veränderungen wurzeln. Bis dato wird Reggae wesentlich vom Rastafari-Glauben und von im Großen und Ganzen sozialistischen Grundeinstellungen geprägt. Mit der aufkommenden Dancehall-Szene bemächtigt sich eine neue Riege von DJs und Produzenten des Genres und entfremdet es von seiner Roots- und Culture-Tradition. Materialismus und neo-liberale Tendenzen halten Einzug. Zudem spielen sich rasant weiterentwickelnde Studiotechniken eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Party-Tauglichkeit gilt als wesentliches Kriterium, Spiritualität bleibt weitgehend außen vor: Dancehall erweist sich zunächst als recht weltliche Angelegenheit. Erst Mitte der 90er, nachdem etliche führende Akteure der Szene zum Glauben zurückgefunden haben, schleichen sich wieder Consciousness-Texte ein. Bis dahin dominieren Sex (Slackness), Gewalt (Guntalk) und Cannabis-Konsum (Ganja-Tunes) das Geschehen.

Der DJ, womit im jamaikanischen Soundsystem-Zusammenhang der Vokalist, keineswegs der plattenauflegende Selector gemeint ist, entwickelt sich im Dancehall zur zentralen Figur. Im Gegensatz zu Rap, bei dem es weitgehend auf Rhythmus ankommt, schwingen beim Toasting oder Chatting auch Melodien mit. Verlegt sich der DJ weitgehend auf Gesang, spricht man von einem Singjay.

Die Vocals erheben sich über basslastige, tanzbare, zunehmend reduzierte und stark repetitive Riddims. Häufig ersetzen Drumcomputer akustische Sets. Als dominierende Strömung im Dancehall kristallisiert sich Raggamuffin mit monotonem, vorwiegend in Patois gehaltenen Sprechgesang und hypnotischen Rhythmen heraus. Raggamuffin erhält seinen Namen in Anlehnung an das Album "Raggamuffin Hip Hop" von Asher D. und Daddy Freddy. Ragga und Dancehall werden künftig in nahezu identischer Bedeutung gebraucht.

Das Fundament für Dancehall, darüber besteht weitgehend Einigkeit, legt Henry "Junjo" Lawes 1979 mit dem Album "Bounty Hunter", das er für Barrington Levy produziert. King Jammy verfeinert den eingeschlagenen Weg, Dub-Elemente in den Reggae zu transferieren. Seine Nummer "Under Me Sleng Teng", 1985 von Wayne Smith interpretiert, gilt wegen ihres internationalen Erfolgs, obwohl es frühere Beispiele gibt, als erster vollständig digital konstruierter Riddim.

Die Roots Radics schwingen sich zur stilprägenden Backing Band auf. Das Produzenten- und Studio-Musiker-Duo Steelie & Clivie drückt dem Sound der Stunde seinen Stempel auf. Zur ersten Generation von Dancehall-DJs zählen Yellowman, Tenor Saw oder Slackness-Pionier General Echo. Einen etwas melodie-lastigeren "Sweet Sing"-Style pflegen beispielsweise Barrington Levy, Pinchers oder Cocoa Tea. Etablierte Reggae-Vokalisten wie U-Roy, Gregory Isaacs oder Johnny Osbourne orientieren sich ebenfalls in die neue Richtung.

Mitte der 80er blüht die digitale Ära. Das Tempo zieht noch einmal an, die Beats erlangen zunehmend abgehackteren Charakter. Entsprechend passt sich das DJing an, wird schneller und ausgefeilter. Spätestens Anfang der 90er Jahre sprengt Dancehall mit Tunes wie "No No No" (Dawn Penn), "Mr. Loverman" (Shabba Ranks) oder "Murder She Wrote" (Chaka Demus & Pliers) die Landesgrenzen und wird zum internationalen Phänomen. In Großbritannien nimmt Ragga, der sich hier wachsender Beliebtheit erfreut, wesentlichen Einfluss auf die Entstehung von Jungle.

Ähnlich wie bei Hip Hop, als dessen Schwester Dancehall häufig bezeichnet wird, handelt es sich um eine Bewegung, die weit mehr als die eigentliche Musik umfasst. Dancehall besitzt seine eigene Kultur, eigene Mode, eigenes Vokabular und eigene Sichtweisen. Ohne Zweifel sorgt Dancehall für frischen Wind in der jamaikanischen Musikszene, wenngleich er sich bereits so weit von seinen Wurzeln entfernt hat, dass unter Puristen Streit ausbricht: Hat man es überhaupt noch mit Reggae zu tun?

Die Stellung von Dancehall gegenüber Reggae lässt sich in etwa mit der Wirkung der Dirty South-Strömung Crunk auf Hip Hop vergleichen, wenn auch Crunk im Gegensatz zu Dancehall noch in Babyschühchen einher strampelt. Dancehall hat sich längst grenzüberschreitend etabliert. Neben Japan boomt das Genre besonders in Frankreich oder - mit Acts wie Gentleman oder Seeed - in Deutschland. Lateinamerika entwickelt mit Reggaeton eine eigene Spielart.

In den 90ern kommt mit Vokalisten wie Buju Banton, Bounty Killer, Capleton, Spragga Benz und Beenie Man auch eine neue Produzenten-Generation auf, die das Monopol von Steelie & Clivie beendet. Neben reduzierten Instrumentals ist erstmals auch wieder eine Umkehr in Richtung Roots-Reggae zu verzeichnen. Der DJ-Style wird wieder melodischer, zudem werden Sample-Techniken, wie sie in Hip Hop oder R'n'B üblich sind, übernommen.

Sexismus, Gewaltverherrlichung und besonders Schwulenhass sind in Dancehall-Lyrics allgegenwärtig. Häufig wird der Versuch unternommen, diese Zustände mit kulturellen oder religiösen Hintergründen zu rechtfertigen. Interpreten, die sich auf dem Feld des "Queer Bashing" einen zweifelhaften Namen gemacht haben -darunter Buju Banton mit "Boom Bye Bye", Beenie Man mit "Damn" oder T.O.K. mit ihrer Hasstirade "Chi Chi Man" - müssen allerdings besonders in Nordamerika und Europa immer wieder mit Protesten und Boykottaufrufen rechnen.

Bei allen Bedenken brennt das Dancehall-Fieber auch nach der Jahrtausendwende weiter. VP Records behauptet seine Vormachtstellung auf dem internationalen Markt und betreut Erfolgsgaranten wie Luciano, Elephant Man, Tanya Stephens oder Sean Paul. Eine Zeit, in der der Ruf nach "More Fyah!" verstummt, ist nicht in Sicht.
 
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Easy Listening
 
Easy Listening besitzt in seinem Ursprung dieselben Wurzeln wie Muzak, die auf die amerikanische Firma Muzak Inc. und die Dreißigerjahre zurückgehen. Sechzig Jahre dauert es, bis sich Easy Listening Mitte der Neunziger nachhaltig von seiner Schwester emanzipiert. Soll Muzak lediglich im Hintergrund 'funktionieren', hat Easy Listening den Anspruch, einer bewussten Entspannung zu dienen. In diesem Sinn darf Easy Listening dem Hörenden keine übertriebene Aufmerksamkeit abverlangen, aber allzu belanglos vor sich hin dudeln ist auch nicht von Vorteil.

Easy Listening befindet sich zwar in Sichtweite zu Ambient und einigen allzu schmalzigen Adult Contemporary Interpretinnen und Interpreten, seine nächsten Verwandten aber sind Lounge Music und Smooth Jazz. Wenn das Etikett Lounge, Smooth oder Easy auf einer CD prangt, darf man guten Gewissens nichts Bedeutsames erwarten. Immerhin meint Easy Listening sinngemäß übersetzt nichts anderes, als leicht verdaubar. In diesem Sinne ist der Markt an Diät-Nahrung überflutet von unzähligen und austauschbaren Kompositionen und Komponisten.
Man kann nun vermuten, Easy Listening sei ein abschätzig konnotiertes Genre! Dem war auch so, bis es Mitte der Neunziger als Phänomen der Popkultur seine Salonfähigkeit unter Beweis stellt. Als bekennender und bekanntester Easy Listener widmet sich hierzulande Pit Baumgartner aka De-Phazz dem Genre und liefert seit seinem zweiten Album "Godsdog" den Soundtrack, um der vor nichts zurück schreckenden Jugend eine lässig-entspannte Unbedarftheit zur Verfügung zu stellen.

Armin Medosch schreibt dazu: "Easy Listening ist Musik, in die man sich bequem sinken lassen kann wie in ein plüschiges Barsofa. Es ist Musik, die zu nichts zwingt und alles offen lässt. So gesehen ist Easy Listening als Trend ein typisches Kind der neunziger Jahre, ideologiefrei und konsumfreundlich." Easy Listening entspricht damit einem Lebensgefühl, dass bis heute bestimmender Bestandteil der Populär- und Jugendkultur ist
 
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Forró
 
Der Forró ist ein regionaler Musik-und Tanzstil aus dem Nordosten von Brasilien, der sich mit schlüpfrigen Texten und frivolen Tanzeinlagen seit den 50er Jahren im ganzen Land verbreitet hat.

Einfache Arbeiter waren es, die in klapprigen Lastwagen illegal aus ihrer Heimat in Richtung Süden gebracht wurden, um in Rio de Janeiro, Sao Paulo oder Brasilia Beschäftigung zu finden. Aus dem ausgedörrten und verarmten Nordosten brachten sie ihre Musik mit: einen polkaähnlichen Rhythmus, bei dem ein Akkordeon, eine Triangel und traditionellerweise die "Zabumba"-Trommel die charakteristischen Instrumente darstellen. Ab Anfang der 50er Jahre eröffneten in den südbrasilianischen Metropolen immer mehr Forró-Tanzhäuser, in denen die immigrierte Arbeiterschaft ihren Sehnsüchten nach der fernen Heimat huldigte. Erste kleine Plattenfirmen mit Musik aus dem Nordosten wurden zu Beginn der 60er Jahre gegründet.
Der Name Forró leitet sich nach einer ersten Mutmaßung von dem volkstümlichen Wort "Forróbodo" ab, was soviel wie "Unordnung" aber auch "Tanz des Pöbels" heißt. Die zweite, originellere Theorie: Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die englische Firma "The Great Western of Brazil Railway & Co. Ltd" im brasilianischen Bundesstaat Pernambuco ihre erste Bahnstrecke einweihte, wurde für die versammelte Arbeiterschaft ein großes Fest gegeben. Am Eingang stand auf einem großen Schild "For all" geschrieben, im lokalen Akzent wurde daraus "Forró." Bis heute ist dies der Name für die Tanzveranstaltungen in Nordosten des Landes geblieben und es gibt unzählige Diskotheken, die ihn spielen. Außerdem wird er als prächtig inszeniertes Volksfest in den Zentren der Kleinstädte zum St. Johannis-Tag im Juni zelebriert.

Gen Westen kam der Forró Ende der 50er Jahre: Vom Staat gefördert, reiste 1958 eine Gruppe brasilianischer Musiker, die sich "Os Brasileiros" nannten, nach Europa, um in den Clubs von Lissabon, London und Paris den "Baiao", den charakteristischsten Rhythmus des Forró, zu spielen. Ein Jahr später feierte das europäische Publikum die live dargebotene Musik des in Cannes ausgezeichneten brasilianischen Films "Orfeu Negro".

In den folgenden Jahrzehnten sollte sich aus Brasilien jedoch vor allem Samba und Bossa Nova durchsetzen, erst Ende der 80er Jahre erlebte der dem Forró ähnliche Lambada eine kurze Karriere in Europa. 1990 brachte GobeStyles in London eine Compilation mit zehn Jahre alten Forró-Aufnahmen aus Recife heraus. "Forró: Music for Maids and Taxi Drivers" wurde ein Jahr später für den Grammy nominiert und erregte als regionaler Musikstil großes Aufsehen.

In Brasilien selbst hingegen machte ab Ende der 40er Jahre vor allem Luiz Gonzaga mit seinen sehnsüchtigen, der nordöstlichen Heimat verbundenen Texten den Forró landesweit bekannt und auch in den Großstädten salonfähig. Heute gibt es mehrere brasilianische Radiosender, die ihn ausschliesslich spielen. Oft werden bekannte Songs aus der Pop-Welt wie Robbie Williams' "Angel" oder Kraftwerks "Das Model" mit schnulzigen Texten versehen und als Forró-Version neu interpretiert.

Typisch bei den heutigen Tanzveranstaltungen sind vor allem äusserst spärrlich bekleidete Tänzerinnen, die zusammen mit der Band das Tanzbein des Publikums in Schwung bringen. Doch das mögen nicht alle: In Teilen der Mittel- und Oberschicht wird die Musik und der Tanz wegen der Zweideutigkeiten der Texte und der teilweise sehr offenen Obszönität verachtet und ist, ähnlich wie der Baile Funk, eher ein Tanz der Unterschicht geblieben. Vor allem Jugendliche treffen sich jedes Wochenende, teils in einfachsten, ehemaligen Lagerhallen, um sich bei diesem frivolen Partnertanz auf die Suche nach einer neuen Eroberung zu machen.
 
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Hamburger Schule
 
1988 haben Carol von Rautenkranz und Pascal Fuhlbrügge den Masterplan und gründen mit L'Age D'Or die Schule. Bands wie Blumfeld, Die Regierung und Kollosale Jugend spielen einfach Rockmusik und zitieren dabei Pop und die Welt.

Die Idee ist gut, die linksintellektuelle Musikpresse lobt eine beste Platte der Welt nach der nächsten. Musterschüler sind Die Sterne, immer zwischen brilliant und bemüht. Gerade rechtzeitig bevor die Szene in Selbstreferenz zu ersticken droht, erscheint 1994 das Debüt von Tocotronic - jeder Song ein T-Shirt. Sie haben nichts dagegen, verstanden zu werden und die Mehrheit will das hören, was erwähnter Musikpresse überwiegend verdächtig vorkommt.
Der Erfolg gibt auch dem Rest der Klasse von 94 neue Impulse und spätestens jetzt wird in Hamburg alles gesigned was deutsche Texte singt und eine Gitarre halten kann - wir sind eben doch in Seattle.
 
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Kwaito
 
Als sich am 27. April 2004 die erste demokratische Wahl Südafrikas zum zehnten Mal jährt, feiert und tanzt die Post-Apartheid-Generation zu Kwaito-Musik. Jenem brodelnden Mix aus House, Reggae, Hip Hop und Jungle, der die Popmusikszene auf dem schwarzen Kontinent beherrscht. Kwaito ist für die südafrikanische Seele ebenso identitätsstiftend wie Hip Hop für amerikanische Jugendliche.

Entstanden ist Kwaito in den südafrikanischen Townships Anfang der 90er. Nicht ganz zufällig taucht sie 1994 zeitgleich mit der Wahl von Nelson Mandela aus dem Untergrund auf. Die Helden der ersten Stunde heißen Oscar "Warona" Mdolongwa, Mdu Masilela, Arthur Mafokate und Joe Nina. "Wir begannen damit, den amerikanischen und englischen House-Tracks ein afrikanisches Feeling zu verleihen. Wir verringerten das Tempo und fügten Perkussion, Klavier und afrikanische Melodien dazu" erinnert sich Oscar Mdolongwa.
YFM, der unter Jugendlichen beliebteste Radiosender Johannesburgs, sorgt seit 1997 für eine massenwirksame Verbreitung. Der Chef des Senders erklärt: "Spätestens seit 2002 ist dieser Jugendstil fest etabliert, ist Kwaito eine Art weltliche Religion geworden".

Auch wenn der Vergleich mit der Religion etwas wagemutig ist, umfasst Kwaito bei weitem mehr als nur Musik. Sie spiegelt die Ideen, Motive und Einstellungen einer ganzen Generation wieder. Kwaito ist Lebensgefühl und Selbstausdruck ihres neuen und starken Selbstbewusstseins.

Kwaai ist Afrikaans und bedeutet wild, roh, wütend! Die Amakwaitos, 50er-Jahre-Gangster aus dem Schwarzenviertel "Sophiatown" vereinnahmten den Begriff erstmals. Inzwischen hat er sein wütendes Gewand abgelegt und neue Gesetzmäßigkeiten hervorgebracht, in denen sich westliche Werte wiederspiegeln: Coolness und Individualität.

Zu den wichtigsten Vertretern des Kwaito zählt neben Bongo Muffin, Mafikizolo und Mapaputsi der Shooting Star Zola, der 2002 bei den South African Music Awards spartenübergreifend zum "Besten Künstler des Jahres" gekürt wurde. Neben ihm glänzt Mandoza als Stern am Kwaito-Himmel, dessen Album "Godoba" über 150.000 Exemplare verkauft. "Nkalakatha", sein Single-Hit, "vereint die Tanzflächen überall im Land", heißt es in einschlägigen Publikationen über seinen Erfolg.

Inzwischen haben auch die Major-A'n'Rs von Sony, BMG und EMI das Potential erkannt und ihre eigenen Künstler ins Rennen geschickt. Immerhin verkaufen Acts wie Arthur Mafokate und Mdu Masilela über 100.000 Einheiten, was in Südafrika vierfachem Goldstatus entspricht
 
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Muzak
 
Muzak ist Hintergrundmusik, Fahrstuhlmusik, Berieselungsmusik..., na ihr wisst schon! Musik, die frei ist von aufmerksamkeitsheischende n oder musikalisch bedeutsamen Bestandteilen. Ihrem ursprünglichen und bis heute gültigen Wesen nach, handelt es sich um funktionelle Musik, die vom Hörenden nicht bewusst wahrgenommen und eine entspannte Atmosphäre schaffen soll. Sehr häufig anzutreffen ist diese Spezies deshalb in Kaufhäusern. Dort soll sie die Konsumlust beeinflussen, d. h. stimulierend auf das "Haben-wollen"-Hormon einwirken.

Aber auch in Hotellounges lungert Muzak häufig herum, in Wartehallen, auf Flughäfen und überall dort, wo es eine unerwünschte Stille zu übertünchen gilt. Neuerdings kommt Muzak auch in Bahn- und U-Bahnhöfen zum Einsatz, wo eine aggressionshemmende Absicht verfolgt wird. Wie auch immer, Muzak ist definitiv Funktionsmusik, hinter deren Einsatz immer eine bestimmte Absicht steckt.
Seit 1934 ist Muzak ein in den USA eingetragenes Warenzeichen für funktionelle Hintergrundmusik. Die Firma Muzak Inc. (1922 von George Owen Squier gegründet) drückt sich den Begriff aus der Nase, der eine Kombination aus 'Music' und 'Kodak' darstellt. Kodak deshalb, weil Squier seinerzeit die aufstrebende Photo-Firma für ihre technischen Erneuerungen anhimmelt.

Es gäbe zwar noch viel zu berichten rund ums Thema Muzak, um aber die Prägnanz dieser Beschreibung nicht zu gefährden, auf die andere Web-Artikel bereits lobend hinweisen, sei an dieser Stelle auf weitere Ausführungen verzichtet. Wer seine Besser-Wissen-Will- Ambitionen nicht im Griff hat und, weshalb auch immer, ein Expertentum in Sachen Muzak anstrebt, findet ausschweifendes Material in den Surftipps.
 
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Neo Soul
 
Mitte der 90er Jahre mit dem steten bergauf von R'n'B und Soul wird der Ruf nach einem weiteren Sub-Genre beider Stile immer lauter. Nicht dass Künstler wie D'Angelo, Maxwell oder Erykah Badu eine neue, nie dagewesene Musikrichtung geschaffen hätten. Trotzdem heben sie sich von anderen Künstlern soweit ab, dass sie nicht einfach unter der Kategorie R'n'B oder Soul abgestempelt werden dürfen. Genau datieren kann man die Geburtsstunde des Neo-Souls trotzdem nicht, so geschieht eher Schritt für Schritt eine Distanzierung von der Norm.

Beispielsweise D'Angelo macht 1995 mit "Brown Sugar" einen ersten Versuch und wagt sich aus herrschenden Zwängen. Er produziert, schreibt, komponiert und arrangiert nicht nur alles selber, sondern involviert dazu noch Live-Instrumente, tiefgründige Texte und seine soul-geladene Stimme. Unterstützt wird er bei der Produktion von Raphael Saadiq, der schon einige Jahre vorher mit Tony Toni Toné in diese Richtung gezielt hat und später mit Lucy Pearls als aktives Mitglied der Neo-Soul-Bewegung diesen Sound prägt. Darauf folgen das Debüt "Maxwell's Urban Hang Suite" des damals 23-Jährigen Maxwell und "Baduizm", das außergewöhnliche Erstlingswerk von Erykah Badu. Maxwell fröhnt vorwiegend dem weiblichen Geschlecht auf eine respektvolle, romantische Weise.

Währenddessen Erykah Badu sich an D'Angelo orientiert und dem Neo-Soul ein weiteres Motiv gibt: Beide beschäftigen sich in ihren Texten und ihren Live-Shows vermehrt mit den Traditionen der afro-amerikanischen Kultur.
Der Name des "neuen" Genres deutet natürlich an, dass es sich um eine moderne Version des klassischen Soul handelt. Und natürlich steht das Neo für neu, trotzdem bilden die Basis für Neo-Soul die R'n'B-Legenden der Vorzeit. Marvin Gaye, Smockey Robinson und James Brown sind deswegen genauso für den heutigen Neo-Soul verantwortlich, wie die neue Generation, die ihn immer weiter nach vorne bringt. Die neue Generation besteht aus Künstlern wie Bilal, Jill Scott, India.Arie, Musiq oder Angie Stone. Sie schliessen bündig an die Musik ihre Vorgänger an und machen trotzdem jeder für sich etwas eigenes. Letzendlich haben sie alle wohl eines gemeinsam, was im Notfall auch für eine Charackterisierung des Neo-Souls herhalten könnte: Hip Hop, auf das nötigste reduziert mit tiefgründigem, stimmgewaltigen Gesang.
 
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Neue Deutsche Welle
 
New Wave heisst auf deutsch Neue Welle. Da kommt die Welle her, in Hagen Grossenkneten und Erlangen ging es ab. Ende der Siebziger heisst es also: Neue deutsche Welle. Grauzone findet: Ich möchte ein Eisbär sein, am kalten Polar. Und Trio ist DA DA DA -

Kühl gereimt und deutsch sind die Texte der Heroen neuen heimatlichen Liedguts. Ich lieb dich nicht, du liebst mich nicht. Heiss geht es hingegen in den Städten ab: Die Kids jubeln Extrabreit: HURRA HURRA, HURRA DIE SCHULE BRENNT. POLIZISTEN müssen.
Wie Nenas 99 LUFTBALLONS erhoben sie sich in luftige Höhen- wie FRED VOM JUPITER- in die Charts. Die Bands verkauften Millionen, von Platten natürlich. Doch die Träume der deutschwelligen Pop-punker, ihre Träume von unbändig unsinniger Fröhlichkeit platzten wie Nenas gasgefüllte Gummidinger, so um das Orwell-Jahr 1984. Nichts half da dada, nichts half Extrabreits Pazifikwellenhilfe: Flieg nach Hawaii, wir sind auch dabei. Mit der Welle ging´s bergab.
 
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New Wave
 
New Wave löste Punk ab. Nicht vollständig. Klar. Aber sie folgte als direkte Antwort auf www.laut.de/ lautwerk/punk/index.htm. So oder so. Clevere Modedesigner entdeckten den punkigen Schmuddellook für sich und möbelten die NoName Produkte durch teure Designeretiketten auf.

Entsprechend cool kam auf der anderen Seite der Klamotte die Musik daher. Die Musiker bezeichnen sich zwar als The Damned, die Verdammten, oder als The Clash. Doch ein richtiger Zusammenprall mit der Gesellschaft ist es keinesfalls mehr. Anpassung ist wieder in.
Weiße, kahle Wände und ein eisiger Blick der Diskobesucher setzen die No Future Sache fort. Benötigt werden nun mehr als zwei Gitarrengriffe. Synthesizer und Keyboards kommen erneut zu Ehren. Eine Alternative: Ich glotz TV (Nina Hagen). Denn: Konversation gibt's nur, wenn's unbedingt sein muß. Die Talking Heads dagegen machen auf der LP ‘Remain in Light' musikalische Ausflüge in die Welt der Ethno-Beats.
 
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POP
 
Man sollte kaum meinen, dass man auf die Frage 'was ist Popmusik?' eine prägnante Antwort bekommt. Willi, der fingierte Extrem-Feuilletonist und Freund des Jazzthing-Redakteurs Pit Huber, kennt sie: "Pop ist die finale Liturgie der implodierenden Informationsgesellschaft. " Obwohl er mit einigen anderen Statements knallhart daneben liegt ("Jazz ist die synkopierte Fortsetzung des revolutionären Diskurses" ), trifft seine Definition des mächtigen Phänomens Pop den Nagel auf den Kopf, oder?

Was ist Popmusik?

Wikipedia, die freie Internet-Enzyklopädie, formuliert es pragmatisch und bezeichnet Pop als Unterhaltungsmusik, die vom überwiegenden Teil der Bevölkerung gehört wird und durch Einfachheit gekennzeichnet ist. Wenige Harmonien in als angenehm empfundenen Abfolgen, eingängige Melodien und simple, durchgehende Rhythmen sind hiernach die wichtigsten Bestandteile solider Popmusik. Trotz allem schließt Popularität Originalität nicht aus, wie es wichtige Vertreter erwachsener Popmusik (Sting, Tom Waits u.a.) nicht müde werden zu beweisen.

Das Handbuch der populären Musik (Wicke/Ziegenrücker, Schott) spricht von Musik, die in ihrer Stilistik Extreme ebenso vermeidet, wie den exklusiven Bezug auf bestimmte Subkulturen. Die Rede ist in beiden Fällen von Mainstream-Popmusik, wie wir sie heute kennen. Die Marschrichtung des Mainstream geben die Charts vor und damit die Masse an Käufern und Käuferinnen, die beim CD-Dealer ihre Stimme abgeben.

Die Verkaufszahlen von Schallplatten wurden ursprünglich im Fachmagazin 'Billboard' in Hitlisten notiert. Diese Ur-Charts waren in den 40er und 50er Jahren in drei Sparten unterteilt, die die Rassenzugehörigkeit der Bandmitglieder in den Mittelpunkt stellte. Unter 'Popular Music' wurden Schlager verstanden, der damalige Begriff 'Popular Music' hat also mit der heutigen Bezeichnung 'Popmusik' nichts zu tun. Unter 'Country and Western' wird Musik für Weiße gelistet, und 'Rhythm'n'Blues' repräsentiert die Hörgewohnheiten der schwarzen Bevölkerung. Anfang 1954 geschieht dann in einem Prozess wachsenden politischen Bewusstseins das Unfassbare: den schwarzen Bands 'The Crows', 'The Chords' und 'The Orioles' gelingen trotz Zugehörigkeit zur Rhythm'n'Blues-Sparte Hits, die sich in den weißen Charts wiederfinden. Kurze Zeit später singen die weißen Sänger Bill Haley und Elvis Presley 'schwarze' Rhythm'n'Blues-Stücke für ein weißes Publikum. Dieser Frevel gilt als die eigentliche Geburtsstunde der Popmusik.

Die Geschichte der Popmusik

Popmusik und die gesellschaftlichen Veränderungen im Kontext der Ausbildung jugendlicher Subkulturen in den 50er und 60er Jahren hängen also eng miteinander zusammen. "Ähnlich, wie in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts die Kindheit erfunden wurde, so wurde in dieser Zeit der 'Jugendliche' erfunden, der sich von der Welt der Erwachsenen absetzen wollte, und auch die finanziellen Mittel zur Verfügung hatte, dies durch die Auswahl seiner Konsumartikel und nicht zuletzt seiner Musik zu tun" schreibt Thomas Zimmermann über diese Zeit des politischen Umbruchs.

Die Ursprünge allen Popmusikschaffens liegen indes in der afroamerikanischen Volksmusik, besser bekannt als Blues. Und um an dieser Stelle ganz genau zu sein, handelt es sich "eigentlich um afro-nordamerikanische Volksmusik - die afro-südamerikanische Volksmusik wird als 'Latin' bezeichnet." Die kennzeichnenden Merkmale afro-wie auch immer-amerikanischer Musik sind die musikalischen Parameter Rhythmus und Klangfarbe. Sie werden stärker betont als in der westeuropäischen Musik, die Melodie und Harmonie in den Vordergrund stellt.

Der Weg des Blues zu Beginn des Jahrhunderts bereitet dem Pop einen fruchtbaren Nährboden. Auf den um Jazz und Swing erweiterten Roots entsteht in den 40er Jahren Rhythm'n'Blues. Er ist der schwarze Beitrag zum musikalischen Rassen-Crossover, der im Rock'n'Roll (Jerry Lee Lewis, Chuck Berry, Elvis Presley, Bill Haley) seinen Ausdruck findet.

Pop ist Revolution

Die Jugend wollte mit den überkommenen politischen und weltlichen Ansichten ihrer Eltern nichts mehr zu tun haben und so drehten sich die Texte des Rock'n'Roll gerne um die Ängste und Sorgen der amerikanischen Pubertierenden. Liebe, Schule und die Revolution gegen das Elternhaus sind die Dauerbrenner. Musik begleitet bis heute wichtige Pubertätsaufgaben und transportiert ein bestimmtes Lebensgefühl, ist Abgrenzung und Ausdruck eines eigenen, individuellen Selbstbewusstseins.

Offenen Protest gegen die Erwachsenenwelt formulieren ab 1965 die Rolling Stones und The Who explizit in ihren Liedtexten. Aber nicht nur durch Wortgewalt wollen die Musiker provozieren. Auch die Bühnenshows, Outfits und das gesamte Verhaltensrepertoire zählen zu den Waffen der Popwelt gegen das Establishment. Während die einen Hotelzimmer zertrümmern, gelten die Pilzköpfe als Wegbereiter eines eigenständigen europäischen Pop-Bewusstseins, das sich von seinen amerikanischen Eltern emanzipiert.

In den USA erfährt das Aufbegehren seinen Höhepunkt zur Hippie- und Flower-Power-Zeit der Endsechziger. Der Vietnamkrieg und seine Folgen bestimmen damals das Bewusstsein der amerikanischen Jugendlichen. Die politischen Forderungen richten sich auf den Pazifismus, die freie Liebe und Bewusstseinserweiterung durch LSD und Marihuana. Im Psychedelic Rock mit Gruppen wie Pink Floyd und Grateful Dead finden sie ihren musikalischen Ausdruck. Leider sind bei diesen Selbstversuchen bedeutende Künstler und Künstlerinnen wie Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison (The Doors) und Brian Jones (Rolling Stones) auf der Strecke geblieben.

Hierzulande feiert dieser gesellschaftliche Prozess in den 70ern wahre Sternstunden. Krautrock ist die Musik der Zeit. Can, Kraftwerk, Kraan und viele andere verlieren sich in ausgedehnten Improvisationen, Konzeptalben und Gesamtkunstwerken. Der intellektuelle und künstlerische Anspruch der Popmusik wird dabei ebenso klar formuliert, wie der politische, den 'Ton Steine Scherben' am deutlichsten benennen. Nachdem die Sehnsucht der Popmusik nach intellektueller Anerkennung im Amerika der 60er durch Pop-Art-Künstler wie Andy Warhol und Roy Lichtenstein bereits eingelöst wurde, sind im Mutterland der Popmusik in dieser Zeit Art-Rock Bands wie Yes und Genesis angesagt.

In den 70ern ist auch die Zeit, in der sich die Rockmusik vom Popkuchen abspaltet und eine eigene Schnitte etabliert. Wichtige Wegbereiter dieses Musiksplit sind Led Zeppelin und Deep Purple. Im Black-Music Bereich etabliert sich gleichzeitig Disco und Funk als zeitgemäßer Ausdruck der schwarzen Seele. Thomas Zimmermann schreibt über diese Zeit: "Die Ende der 60er Jahre entstandene Diversifizierung der Popmusik mündet in den 70ern in miteinander unvereinbaren Stilrichtungen und spaltet erstmals die bis dahin geschlossen aufgetretene Gemeinschaft der Popmusikhörer." So gesehen sind also alle Erscheinungen moderner Pop- und Rock-Musik von Grunge bis Country, Goa bis Gothic, Salsa bis Soul und Hip Hop bis Krautrock lediglich namentliche Spielarten ein und desselben Phänomens - Pop.

Punk stellt in den 70ern als Gegenbewegung zu den musikalischen Ergüssen des Art- und Krautrock, den Dilettantismus ins Zentrum. "Punk versteht sich als Gegensatz zu den Rockdinosauriern, die mit Sattelschlepperkolonnen durch die Lande fahren und in riesigen Arenen Musik machen, die mit dem Alltag und der sozialen Wirklichkeit der Jugendlichen nichts mehr zu tun hat." Die Sex Pistols und The Clash legen davon ein beeindruckendes Zeugnis ab. In anderen Disziplinen hat sich die Popmusik indes von allen politischen oder sonstigen Ansprüchen befreit. Abba besingen in einem ihrer Lieder, um was es im Mainstream-Pop weiland geht: 'Money, Money, Money'!

In den 80ern sind New Wave und die Neue deutsche Welle angesagt. The Police, die Talking Heads und Nena stehen ebenso für diese Dekade wie der King Of Pop - Michael Jackson, Prince, Whitney Houston und Tina Turner. 1979 legt die Sugar Hill Gang mit 'Rappers Delight' den ersten Hip Hop-Track vor und verpasst der Musikwelt damit ein neues Genre, das den Protest erneut ins Zentrum stellt. In den 90ern beherrschen Grunge (Nirvana) und Techno, R&B und weiterhin Hip Hop die Szene.

Musik als Ware

Heutzutage hat sich Popmusik gesellschaftlich allgemein akzeptiertes Phänomen etabliert. Damit geht einher, dass sie massenhaft produziert, verbreitet und erworben wird. Sie ist also an technische und finanzielle Apparaturen gebunden, die ihre massenhafte Produktion und Verbreitung überhaupt erst ermöglichen. Die durch den Industrialisierungsprozes s entscheidend veränderten Produktions- und Verbreitungsbedingungen von Musik, rücken dessen Warenaspekt in den Vordergrund. Auf dieser Grundlage entsteht die Musikindustrie als Bestandteil kapitalistisch organisierter Kultur- und Medienverwaltung.

Darin muss sich die Popmusik den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten des Marktes beugen, was eine Normierung und Standardisierung zur Folge hat. Sie muss simpel und (be)greifbar sein, was eine überschaubare Gliederung impliziert. Popmusik soll in der Lebenspraxis ihrer Hörer die Funktion erfüllen, die gemeinhin als Unterhaltung bezeichnet wird. Sie soll uns also zum amüsieren, tanzen, mitsingen, abschalten, genießen, chillen usw. anregen, und somit leicht konsumierbar sein.

Pop = Populär?

Ob mit diesem zugegebenermaßen ausschweifenden Beitrag, das Phänomen Pop ausreichend erkannt, beschrieben und fassbar gemacht wird, bleibt dahin gestellt. Festzustellen bleibt, dass Popmusik, das Ensemble sehr verschiedenartiger Genres und Gattungen, sich ständiger Veränderung befindet. Pop ist das "Resultat von komplexen sozial-kulturellen Prozessen, dessen Hauptakteure (Musiker, Publikum und Industrie) ihre Vorstellungen davon, was populäre Musik jeweils sein soll gegeneinander aushandeln und durchsetzen suchen." (Wicke/Ziegenrücker)

Auch darüber, ob der Begriff 'Pop' als Abkürzung für 'populär' gewertet werden darf, gibt es verschiedene Haltungen. Am gebräuchlichsten ist sicherlich die Ansicht, 'Pop' einfach als Kurzform von 'Populäre Musik' oder 'Popularmusik' zu betrachten. Das Brockhaus Riemann Musiklexikon hat allerdings ein gewichtiges Gegenargument: "Pop als Abkürzung von populär ist zur Bedeutungserklärung unzureichend, da der lautmalerische Eigenwert dieser Silbe mit jenem schillernden Bedeutungsspielraum zwischen Protest, Kunstanspruch, extravagantem Konsum usw. dabei verloren geht."

Ob nun Willi mit seiner eingangs erwähnten Feststellung, Pop sei die finale Liturgie der implodierenden Informationsgesellschaft, recht hat, können wir nicht abschließend beantworten. Falls er mit Liturgie das gesamte gesellschaftliche Geschehen meint, das sich u.a. in Wort, Gesang, Musik und Tanz widerspiegelt, hat er sicher recht. Und falls nicht, auch egal.
 
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Reggae
 
Beim Stichwort Jamaica assoziiert man schnell Urlaub, Gras, Sonne, Fussball oder rodeln. Alles richtig, alles toll. Doch hier soll es um Reggae gehen, jenen Sound, der die Landesfahne des Eilands bis in die entlegendsten Erdenwinkel trieb und als Markenzeichen etablierte. An dieser Stelle an Bob Marley zu denken, ist anhand dessen kommerzieller Verdienste zwar legitim, verstellt allerdings den Blick auf die Ursprünge.

Als Ska Anfang der 60er en vogue war, hüpfte Klein-Bob mit seinen Kumpels Bernie Livingstone und Peter Tosh unter dem Namen The Wailers äusserst erfolgreich durch die Gegend. Er avancierte erst zur Kultfigur, als die Plattenfirma "Island" das kreative Dreigestirn sprengte, um unter veränderten Vorzeichen (Bob, der Star) in Europa die Sau zu schlachten. Den Rest kennt ihr ja...
Zurück zum Thema: Der heisse Sommer 1967 verlangsamte den Ska und Toots Hibbert von den Maytals prägte den Begriff auf deren Single "Do the Reggay". Charakteristisch sind der langsame Gitarren-Offbeat, Einflüsse aus afrokaribischen Rhythmen (Merengue, Calypso, Rumba) und traditionellem Mento. Zugleich diente der legere Beat als Plattform für sozialkritische und politische Texte, während Anhänger der Rastafari-Bewegung vorallem ihrem Gott Jah huldigten.

Eric Clapton mit seiner grausigen Version von "I shot the sheriff" und Paul Simon mit dem gediegenen Reggae-Beat seiner "Mother And Child Reunion" spielten fleissig Geburtshelfer, um den sommerinfizierten Gute-Laune-Sound den bleichen Europäern näher zu bringen. Jimmy Cliff drehte mit "The harder they come" einen Kassenknüller, der ihm und seiner gleichnamigen Single zu einmaligem Weltruhm verhalf, während Lee "Scratch" Perry an einer psychedelischen Klangvariante arbeitete und seither als Erfinder des Dub gilt.

Als Marley 1981 den Kampf gegen den Krebs verlor und die Musikpresse mit Schlagzeilen wie "Reggae-Musik - Ist das das Ende?" Auflösungserscheinungen prophezeite, lag es an Formationen wie Black Uhuru, Linton Kwesi Johnson, Burning Spear, Lucky Dube und wie sie alle heissen mögen, der Welt aufzuzeigen, wie vielfältig sich Reggae anhören kann. Die zahlreichen, meist im Sommer stattfindenden Reggaefestivals erfreuen sich ungebrochener Beliebtheit - das Mauerblümchen hat sich durchgesetzt.
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Reggaeton
Reggaeton ist sexy, wild und kraftvoll - genauso wie Perreo, der dazugehörige Tanz. Beides wurzelt im Lateinamerika der frühen 90er des 20. Jahrhunderts. Puerto Rico und Panama nehmen die Vorreiterrolle in der Etablierung des neuen Stils ein, der um die Jahrtausendwende zunächst Amerika und Spanien, und mit ein paar Jährchen Verspätung auch Resteuropa erreicht.

Reggaeton ist ein Mix aus Reggae, Dancehall, Hip Hop, (spanischsprachigen) Raps, lateinamerikanischen Musikgewürzen und europäischer Clubmusik. In Deutschland löst Daddy Yankee mit dem Top Ten-Einstieg von "Gasolina" (2005) das Reggaeton-Fieber aus. Seitdem tanzt sich die Republik zu den südamerikanischen Weisen die Seele aus dem Leib bzw. dem Popo. Dieser ist es nämlich, dem die gesamte tänzerische Aufmerksamkeit gebührt. Der volle Einsatz des weiblichen Culo, wie das vergötterte Hinterteil in Lateinamerika heißt, gehört zwingend zum Perreo. An diesen Culo treten die Herren von hinten heran (Doggy-Style!) und kreisen mit ihren Hüften. "Das ist der Lambada des Reggaeton" erklärt ein Szenekenner.
Dieses Paarungsverhalten in Kleidern spiegelt sich beim Mainstream-Reggaeton in den Texten wider, die so profane Themen wie Liebe, Tanzen oder eben Sex bemühen. Ursprünglich hatten die Songs allerdings viel gewichtigere Statements zum Inhalt, waren sie doch musikalisches Sprachrohr und Ausdruck des Lebensgefühls einer nicht privilegierten Gesellschaftsschicht. Politische und sozialkritische Reime sind das eigentliche Wesensmerkmal des Reggaetons. Er kommt, ebenso wie Hip Hop, aus den Straßen der Slums. "Die Lyrics sind stark. Wir rappen über das, was auf der Straße geschieht, über die Realität. Reggaeton ist wie Hip Hop" beschreibt Ivy Queen die Anfänge in den Armenvierteln Puerto Ricos, den Barrios.

Über zehn Jahre fristet er dort ein Nischendasein. "Die puertoricanische Mittelklasse betrachtete die Musik als vulgär, Medien und Regierung versuchten sie unten zu halten, indem sie gemeinsam eine Anti-Reggaeton-Politik durchsetzten, die es per Gesetz verbot, Reggaeton im Radio und TV zu spielen oder im regulären Handel zu verkaufen" berichtet Riddim.de über die Entstehungsgeschichte.

"Aber sieh dir an, wo Reggaeton heute steht. Er ist Teil des Mainstreams" ergänzt Ivy Queen, die Missy Elliott des Reggaeton. Teil des Mainstreams zu sein ist auch das Los des Hip Hop, der sich im Hochglanzformat mit Gangster-Klischees schmückt. Aber egal, wie der Hip Hop für westliche Heranwachsende, ist der Reggaeton als identitätsstiftende Größe für die lateinamerikanische Jugend nicht mehr wegzudenken: "Wir besitzen nicht viel, aber Reggaeton kann uns niemand wegnehmen. Er ist unsere Identität."

Im Laufe der 90er Jahre kommt die lateinamerikanische Mittelschicht auf den Geschmack. Nun schickt es sich, Perreo zu tanzen und Reggaeton bürgt fortan für heiße Club-Nächte. 1995 stempeln der panamesische DJ El General und der puertoricanische Rapper Vico C dem Stil erstmals das Label "Reggaeton" auf. Ende der 90er schwappt die Welle zeitgleich nach Amerika und Spanien. Wyclef veröffentlicht 2001 als einer der ersten US-Rapper, gemeinsam mit Ivy Queen, "In The Zone", mit dem er seiner Zeit etwas voraus ist.

In Europa tritt Reggaeton seinen Siegeszug in den Clubs unserer iberischen Nachbarn an. In Spanien landet der puertoricanische Rapper Don Omar mit "Dale" einen Hit, kurz bevor Daddy Yankee den Reggaeton nach Deutschland importiert. Sein "Gasolina" versetzt 2005 die einheimische Szene in Aufregung - man darf endlich an der Geburt einer wegweisenden Stilistik teilhaben. Zu den führenden Köpfen der Bewegung zählen zu dieser Zeit Don Omar, Daddy Yankee, Javia, Nicky Jamz, Eddie Dee, Tito El Bambino, Tego Calderon und Ivy Queen.

Übrigens: "Per Definition ist Reggaeton bestimmt durch den boom-ka-boom-ka, boom-ka-ka-Beat, den Dem Bow" berichtet riddim.de richtigerweise!
 
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Rhythm And Blues
Die Bedeutung von Rhythm and Blues wandelt sich im Laufe der Zeit und ist ein Oberbegriff für verschiedene Musikstile. Zum ersten Mal wird der Begriff in den 40er Jahren für eine musikalische Gattung verwendet. Nach einem Tantiemenstreit 1941 zwischen der amerikanischen Urheberrechtsgesellschaft ASCAP und den Rundfunkanstalten der U.S.A. wird die Musik der Farbigen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich und die diskriminierende Bezeichnung 'race music' durch 'rhythm and blues' ersetzt. Erst 1949 ändert Billboard den Begriff 'race records' kommentarlos in 'rhythm and blues'. Die beiden verwendeten Ausdrücke zeigen an, um was es bei dieser Musik geht. Sie soll zum Tanzen anregen ('rhythm' ) und hat afroamerikanische Wurzeln ('blues' ), damit steht Rhythm And Blues für Unterhaltungsmusik von Schwarzen aus den U.S.A..

In den 40ern versteht man unter dieser Gattung vor allem eine Mischung aus Blues und BigBand-Musik, deren Funktion es ist, die Leute zu unterhalten und zum Tanzen zu bringen. Gelegentlich bieten richtige Showbands diese Musik dar, wie zum Beispiel die Bigband von Louis Jordan. Seine Musik wird auch als 'Haarlem Jump' bezeichnet. Er selber sagt einmal, sein Ziel sei es, für die Leute zu spielen, im Gegensatz zu den Jazzmusikern, die nur für sich selbst spielten. Als sich der Stil weiter entwickelte entsteht ein Hang zu emphatischen Saxophonsoli, mit Kreischeffekten, die die Stimmung im Publikum weiter anheizen sollte. Big Jay McNeely war ein extremer Vertreter dieses Bereiches. Anfang der 50er Jahre wird die elektronische Orgel öfter eingesetzt. Leute wie Wild Bill Davis oder Dog Bagbay spielen sie.
Auch kleinere Besetzungen, in denen die Gitarre im Vordergrund steht, machen Rhythmen and Blues, wie zum Beispiel die Blues-Band von T-Bone Walker. In New Orleans entwickelte sich ein lokaler Stil, dem ein swingender Shuffle-Rhythmus zugrunde liegt, der an Dixieland erinnert. Typische Vertreter sind Dave Bartholomew und Paul Gayten. Aus diesem Umfeld geht Fats Domino hervor, der einer der größten schwarzen Rock'n'Roll-Stars ist. An der Westküste entsteht ein Stil von gesungenen Blues-Balladen, der auch als 'club blues' bezeichnet wird und teilweise sehr kitschig ausfällt. Prägend für diese Musik ist der Pianist und Sänger Nat King Cole, der schon in den 30er Jahren mit Swing erfolgreich ist. Weitere Interpreten sind Cecil Gant, Roy Brown und Charles Brown. Sie werden auch als die 'Tintenfisch Sinatras' bezeichnet. Oder es stand der mehrstimmige Gesang im Vordergrund, so wie es von Hank Ballard zu hören ist. Diese Richtung bezeichnet man als Doo Wop. Auch gab es Rhythm And Blues Künstler, die in der Tradition der Bluesshouter standen, wie zum Beispiel Joe Turner.

Die Stile der Bands unterschieden sich stark, weshalb eine musikalische Analyse kaum möglich ist. Rhythm and Blues bezeichnet mehr schwarze Unterhaltungsmusik allgemein, als einen einheitlichen Stil. Als gemeinsamen Nenner können die starke Betonung des Backbeats (also die Zählzeiten 2 und 4), ein durchgehender meist tanzbarer Rhythmus und die Verwendung der Bluesharmonik genannt werden, die aber nicht unbedingt stringent durchgehalten wird. In Jordans "Choo Choo Boogie" wird zum Beispiel vom Bluesschema im Refrain in ein achttaktiges Schema in der selben Tonart gewechselt. Im Nachhinein kann diese Musik als Vorläufer des Rock'n Roll gelten. Rhythmen, Harmonien und Melodien werden von dem Rhythm and Blues übernommen und es wird noch etwas Country-Musik hinzugemischt. Rock'n'Roll wird zwar schneller gespielt als Rhythm And Blues, aber zwecks Massenkompatibilität, besonders bei der weißen Käuferschicht, geglättet. Chuck Berry ist einer der Leute, die diese Veränderung wesentlich vorangetrieben haben.

Rhythm And Blues ist in der Nachkriegszeit die Musik des schwarzen Proletariats, so dass auch die schwarze Mittelschicht diese Musik ablehnt und mit ihr die Gitarre. Das Instrument der Unterschicht. Da Rhythm And Blues die Musik der Underdogs ist, ist die Sprache entsprechend direkt und derb, weshalb die Weißen die Musik auch ablehnen. In Songs wie "Work With Me Annie" sind die sexuellen Anspielungen schon fast nicht mehr zweideutig, Textstellen wie "Keep On Churnin' Till The Butter Comes" sprechen eine deutliche Sprache. Die ab Mitte der 50er Jahre sich entwickelnden Aktivitäten für eine "saubere" Musik der Radiostationen hat nicht wirklich Erfolg, sondern erhöht nur das Interesse an den geächteten Stücken. Zu dieser Zeit haben sich der Rock'n'Roll und auch schwarze Rhythm and Blues-Musiker wie Chuck Berry etabliert. Aufgrund von musikalischen Kriterien kann kaum unterschieden werden, was Rock'n'Roll und was Rhythm And Blues ist. Weiße Interpreten spielen Lieder schwarzer Rhythm And Blues-Musiker nach, die dann als Rock'n'Roll-Songs sehr erfolgreich sind. Erst nachdem 1955 Chuck Berry mit "Maybelline" erfolgreich ist, konnten sich auch die schwarzen Musiker in den Charts durchsetzen, aber erst ab 1956 verkauften sich die Originale besser, als die der weißen Nachmacher.

Gegen Ende der 50er Jahre, als Rock'n'Roll nicht mehr einer ethnischen Gruppe zuzurechnen ist, sondern für die Rebellion der Jugend gegen die Erwachsenen steht, kommt ein neuer Begriff auf, der für die schwarze Identität steht: Soul. Dieser Begriff wird in den 60er Jahren nun für R'nB' verwendet. Ab 1969 änderte auch Billboard die Bezeichnung der Charts für afroamerikanische Unterhaltungsmusik in Soul um. Es entstehen weitere Sparten in dem Genre. Die bekanntesten sind Funk und Motown. Am ehesten lässt sich in dieser Zeit mit Rhythm And Blues die Musik von gitarrenorientierter schwarzer Musik, die in der Tradition von Bluesbands wie die von T-Bone Walker stehen, bezeichnen. Typische Vertreter der Richtung sind Ike und Tina Turner.

In den 70er Jahren entsteht neben dem Soul und Funk eine Vermischung von schwarzer Musik mit schnellen gradlinigen Rhythmen, die als Disco bezeichnet wird. Rhythm And Blues-Gruppen, die diesen Stil mit einleiteten, sind Harold Mavin and the Blue Notes ("The Love I Lost", 1973) und die O'Jays ("Love Train", 1973). Der große Erfolg von Disco und der anderen Rhythm And Blues-Stile, die sich immer weiter vom klassischen Soul entfernen, bewegen Billboard ein weiteres Mal zu einer Namensänderung. Für die Chart-Bezeichnung Soul wird ab 1982 Black Music verwendet.

In den 80er Jahren, nach dem die Disco-Zeit vorbei ist, versteht man unter dem neuen R'n'B im weitesten Sinne ein Verbindung von Pop-Musik und Soul. Michael und Janet Jackson, Whitney Houston oder Lionel Richie sind Interpreten dieser Musik.

In den 90er Jahren beeinflusst der Hip Hop die schwarze Mainstream-Musik. Es werden Hip Hop-Beats verwendet, die nicht zu hart ausfallen. Dazu kommen meist volle Keyboard-Klänge und der typische gospelorientierte Soul-Gesang, der gelegentlich noch mit eine paar Raps angereichert wird. Bobby Brown ist der erste, der schon 1989 mit "My Prerogative" erfolgreich ist. Weiter Interpreten sind TLC, R. Kelly und Usher.
 
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Schlager
Schlager - Lieblingsmusik von Muttis und Omas? Belangloses bis sentimentales Gedudel für die Flucht aus dem Alltag in eine heile Welt voller Wunschträume, in der, wenn überhaupt, höchstens das Herz schmerzt? Oder doch ein vielschichtiges Genre, das ein klein wenig Beleuchtung verdient? Alles zusammen!

Bei Schlagern, da beißt weder eine Maus noch der eingefleischteste Fan den Faden ab, handelt es sich stets um ein industriell hergestelltes Produkt, geschaffen, um sich auf dem jeweils angesagten Weg möglichst schnell zu verbreiten. Schlager trivialisieren den Zeitgeist und machen ihn damit dem Geschmack der Masse zugänglich. Dabei helfen nicht zu komplizierte, eingängige Melodien und Rhythmen, und dabei helfen Texte in einer Sprache, die die Hörerschaft versteht. Andere Länder verfügen selbstredend über ihre eigene Form des Schlagers. Nur heißt er dann eben anders. Schlager waren, sind und werden immer deutschsprachig sein.
Im Grunde existieren Schlager, populäre Musikstücke, die ins Ohr gehen, sich dort festsetzen, die bei der Bevölkerung "einschlagen", seit Menschen Lieder singen. Bereits aus dem Mittelalter sind Kirchenlieder überliefert, die, mit neuem (oft humoristisch-derbem oder unflätigem) Text versehen, im Volk kursieren. Die Wurzeln des Schlagers, wie man ihn heute kennt, reichen ins ausgehende 19. Jahrhundert zurück.

In Wien erlebt der leicht verdauliche Ableger der Oper, die Operette, ihre Blütezeit. Die Werke von Johann Strauß, Vater wie Sohn, erfreuen sich außerordentlicher Beliebtheit. In Deutschland kristallisiert sich Berlin als Hochburg der Operette heraus. Hier kreiert beispielsweise Paul Lincke Ohrwürmer wie "Das Ist Die Berliner Luft". Operettenmelodien und -texte boomen, entwickeln sich zu "Gassenhauern", was nicht zuletzt mit der Verbreitung des Grammophons zusammenhängt.

Dessen Rolle als Transportmedium wird vom aufkommenden Tonfilm ergänzt, wenn nicht gar abgelöst. Die Melodien, die die bewegten Bilder begleiten, erreichen plötzlich ein breites Publikum. Die zunehmende Aufgeklärtheit und Emanzipation der Wilden 20er spiegelt sich in den Texten. Neben absurden, schier dadaistischen Inhalten ("Was Macht Der Maier Am Himalaya" ) geht es nicht selten auch offen frivol zu ("Veronika, Der Lenz Ist Da" ). Kirchenvertreter zeigen sich selbstverständlich empört über die verlotterten Sitten.

Doch auch in der Musik hinterlässt die neue Freizügigkeit ihre Spuren. Jazzige, swingende Rhythmen kommen in Mode. Unvergessen bleiben, neben vielen anderen, die Lieder der Comedian Harmonists, von Zarah Leander oder Marlene Dietrich, deren Zauber und Charme Künstler wie Max Raabe noch Jahrzehnte später wieder aufleben lassen.

Der Nationalsozialismus bereitet dem "undeutschen Treiben" der Tanzpartys ein jähes Ende. Unerwünschte Swing-, Jazz- und Latino-Klänge werden als "Negermusik" gebrandmarkt und untersagt. Statt dessen wünscht man das "klassische deutsche Lied" oder eben Marsch-Musik, die jetzt vorwiegend über den Rundfunk an die Hörerschaft gebracht wird.

Zahlreiche jüdische Künstler, die sich gerade um den Unterhaltungssektor verdient gemacht haben, werden mit Auftrittsverboten belegt, in jeder Hinsicht drangsaliert, ins Exil getrieben oder gleich ermordet. Die Karriere der Comedian Harmonists ist nur eine von vielen, die in dieser Zeit gewaltsam beendet wird. Andere Künstler, darunter Johannes Heesters und Marika Rökk, haben das zweifelhafte Glück, vom Nazi-Regime für Propaganda-Zwecke eingespannt zu werden. Gegen Kriegsende werden ausdrücklich Lieder aufmunternden Inhalts gewünscht. Hier ist beispielsweise Heinz Rühmanns "Das Kann Doch Einen Seemann Nicht Erschüttern" einzuordnen.

Der Zweite Weltkrieg geht verloren und vorüber. In das herrschende kulturelle Vakuum senden schon bald wieder die ersten Radiostationen. Die Tatsache, dass es sich bei den frühen Hits der Nachkriegszeit um ihrer Jahreszeit entfleuchte Faschingslieder handelt wirft ein bezeichnendes Licht auf die deutsche Volksseele. Andererseits: Sozialkritik meldet sich in Nummern wie "Wer Soll Das Bezahlen" oder "Am 30. Mai Ist Weltuntergang" eben doch leise zu Wort. Tagespolitik tönt darüber hinaus aus Texten wie "Ich Hab' Noch Einen Koffer In Berlin" oder "Wir Sind Die Eingeborenen Von Trizonesien". Ansonsten setzt Nachkriegsdeutschland auf die gute, alte Schnulze.

Immerhin: Man öffnet sich wieder für internationale Einflüsse. Swing, Samba und Boogie Woogie kehren auf die Tanzflächen zurück. Bis in die 60er Jahre besitzt der Schlager, mit Ausnahme einiger weniger Rock'n'Roll-Nummern (hier machen sich Ted Herold, Conny Froboess und Peter Kraus einen Namen), nahezu eine Monopolstellung in der deutschen Unterhaltungsmusik.

Mit dem Wirtschaftswunder kommt das Fernweh: Abgesehen von Stücken über Bella Italia, dem liebsten Reiseziel der Deutschen (Rudi Schuricke lässt bei Capri die rote Sonne ins Meer versinken, während ihr Caterina Valente im Chor mit Connys zwei kleinen Italienern "Ciao, Ciao Bambina" hinterher ruft), florieren plötzlich Meeresballaden. "Ein Schiff Wird Kommen": Ein Blick auf die Hitlisten der 50er und 60er Jahre erweckt den Eindruck, man hätte es bei den Deutschen mit einer unbeugsamen Seefahrer-Nation zu tun. Seemannschöre schießen auch in küstenfernen Gegenden aus dem Boden. "Seemann, Deine Heimat Ist Das Meer".

Freddy Quinn steigt mit Songs wie "Heimweh" oder "Junge, Komm Bald Wieder" zum erfolgreichsten Schlager-Star aller Zeiten auf und vertritt Deutschland 1956 beim ersten Grand Prix D'Eurovision De La Chanson, dem bedeutendsten internationalen Schlagerwettbewerb. Wobei das französische Wort "Chanson", womit ein Lied mit literarischem Gehalt bezeichnet wird, keineswegs mit dem eher seichten deutschen "Schlager" gleichgesetzt werden darf. Dem Schlager entspricht in Frankreich ein "varieté".

Im deutschen Schlager (sowie in den gern gesehenen Schlagerfilmen) besingt man die heile Welt - und man tut dies auf Deutsch, wenngleich auffallend viele ausländische Interpreten unter den Stars dieser Zeit zu finden sind. Gesang mit exotischem Akzent liegt offenbar schwer im Trend, anders lässt sich die Beliebtheit von Interpreten wie Bruce Low, Gitte, Nana Mouskouri, Gus Backus, Peggy March, Wencke Myhre, Connie Francis, Siw Malmkvist, Bill Ramsey und wie sie alle heißen, nicht erklären.

Die einsetzende Beatwelle gibt dem Schlager schwer zu schlucken. Zwar liefern sogar die Beatles einige deutschsprachige Stücke ("Komm Gib Mir Deine Hand", "Sie Liebt Dich" ), doch markiert ihr Erfolg, der der Rolling Stones und alles, das in deren Fahrwasser nach Deutschland schwappt, einen drastischen Einbruch in der Popularität des Schlagers. Mit einer Ausnahme: Schnulzen haben immer Konjunktur: Freddy, Peter Alexander und Roy Black zelebrieren das hohe Lied der Liebe und orientieren sich dabei an internationalen Vorbildern wie Engelbert oder Tom Jones.

Die Jungen verfallen dem Pop. Schlager wird zur Musik der Über-30-Jährigen, versucht aber, dem neuen Trend hinterher zu laufen. Drafi Deutscher, hervorgegangen aus einer Talent-Show und damit im Grunde ein früher Casting-Star, singt Schlager mit Beat-Einflüssen. Von Karel Gott existiert eine aufwändig orchestrierte deutsche Fassung von "Paint It Black", Cindy & Bert versuchen sich gar an einem Cover von Black Sabbaths "Paranoid" ("Der Hund Von Baskerville" ).

Erst als man die Anbiederungsversuche aufgibt und die Zielgruppe akzeptiert, schwingt sich der Schlager in den 70ern zu einem neuen Höhenflug auf. Mit dem Fernsehen erschließt man sich zudem einen neuen Verbreitungs-Kanal. Seit 1969 gilt die ZDF-Hitparade als die Plattform für deutschsprachige Musik. "Disco" mit Ilja Richter, von 1971 bis 1982 im Programm, vermag an diesem Status nicht zu rütteln. Die Hitparade wird bis ins Jahr 2000 ausgestrahlt.

Der Schlager macht sich, wie es seit jeher in seiner Natur liegt, populäre Strömungen der Zeit zu Eigen. Neben den klassischen Schlager-Stars wie Udo Jürgens oder Christian Anders verzeichnen Interpreten Erfolge, die andere musikalische Genres in ihren Sound integrieren. So setzt Katja Ebstein ("Theater", "Wunder Gibt Es Immer Wieder" ) auf Spuren von Soul. Andere tendieren zum Softrock (Peter Maffay), zur Marschmusik (Tony Marshall) oder setzen auf volkstümliches Liedgut (Heino). Rex Gildo ("Brasil" ) oder Tony Holiday ("Tanze Samba Mit Mir" ) adaptieren Latin-Klänge.

Der deutsche Schlager bringt (ähnlich wie etwas später Disco) überschaubar viele konstant im Geschäft bleibende Künstler wie Freddy oder Udo Jürgens, dafür aber zahlreiche One-Hit-Wonder hervor. Amüsanterweise versuchen sich in den Siebzigern darüber hinaus etliche Sportler am Mikrofon. Die Anziehungskraft von Nummern wie "Gute Freunde" von Kaiser Franz Beckenbauer oder "Bin I Radi, Bin I König" von Torhüter Petar Radenkovic basiert aber wohl, betrachtet man die gesangliche Leistung, vorwiegend auf deren sportlichen Triumphen.

Das Disco-Fieber, das in den 70ern um sich greift, geht auch am Schlager nicht spurlos vorbei. Orchesterarrangements werden seltener, verschwinden schließlich ganz. An ihre Stelle treten billigere und schneller zu realisierende Synthie-Produktionen.

Anfang der 80er kostet die Neue Deutsche Welle den Schlager Kopf und Kragen. Wie einst der Beat, macht sich die junge Strömung in einem ursprünglich vom Schlager besetzten Marktsegment, der deutschsprachigen Musik, breit. Nena und Hubert Kah verdrängen alteingesessene Schlagerstars aus der Hitparade. Mit wenigen Ausnahmen gehören die 80er der NDW. Doch, wie gesagt: Schnulzen haben immer Konjunktur. Unter denen, die diese Dürreperiode überstehen, finden sich Howard Carpendale, Nino de Angelo, Roland Kaiser und Nicole, die mit "Ein Bisschen Frieden" für einen der dünn gesäten deutschen Erfolge beim Grand Prix D'Eurovision sorgt.

Von dem Schlag, den ihm die Neue Deutsche Welle versetzte, erholt sich der Schlager nur schwer. Abseits vom Mainstream bindet der volkstümliche Schlager seine Zielgruppe an sich. "Herzilein" (Wildecker Herzbuben) oder "Patrona Bavariae" (Naabtal Duo) dringen dabei sogar noch an einige Ohren. Seine Freundschaftsbändchen- Sammlung beweist, dass Wolfgang Petry nicht gerade ohne Fans da steht. Voll ins Rampenlicht schafft es der Schlager erst wieder, als man sich mitten in den 90er Jahren - niemand weiß, warum das nötig war - urplötzlich auf die Siebziger besinnt.

Die sind von heute auf morgen trendy, und zwar in allen Bereichen: Einrichtung, Mode, Frisuren, die Musik - alles scheint auf einmal wieder aktuell. Guildo Horn und Dieter Thomas Kuhn reiten die Trash-Welle der neuen Schlager-Euphorie und füllen Hallen. Konsequenterweise schickt die Nation Guildo Horn 1998 samt Nussecken und Himbeereis zum Grand Prix und sichert sich damit einen überaus respektablen siebten Platz.

Die ironische Brechung, die bei der Rezeption von Schlagern zu dieser Zeit stattfindet, sieht Christian Bruhn, der erst mit Katja Ebstein, dann mit Erika von Gitti & Erika verheiratet war, nicht nur für seine Gattinen zahllose Evergreens schrieb und komponierte (darunter "Marmor, Stein Und Eisen Bricht", "Liebeskummer Lohnt Sich Nicht" und, man höre und staune, das Thema der Zeichentrickserie "Captain Future" ), mit gemischten Gefühlen:

"Wenn einem die Gottesgabe des lieblichen Gesanges nicht gegeben ist, dann muss man einfach eine Parodie daraus machen. Eigentlich hat ja das alte Material Erfolg, nicht die Parodie. Anders wäre es, wenn sie mit neuem Material Erfolg hätten. So wie Helge Schneider, der hat ja eine neue Form des Schlagers erfunden." (Aus einem Interview mit "Komm Küssen" )

Die satirische Sichtweise sei, so Bruhn, mit Vorsicht zu genießen, denn: Zum Zeitpunkt ihrer Entstehung waren die Texte, über die heute herzlich gelacht wird, größtenteils keineswegs witzig gemeint. Studenten, die glauben, die Ironie im Schlager erkannt zu haben, hält er entgegen: Es gab keine. "Ich sehe eigentlich keinen Grund, sich lustig zu machen, dazu nehme ich den Schlager zu ernst. Ich liebe ihn, heiß und innig."
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Soul
Soul ist definitiv Vokalmusik. Und zwar "afro-amerikanische Unterhaltungsmusik", die in den 50ern aus dem Rhythm'n'Blues und Gospel (eine Prise Jazz und Blues ist auch dabei) entsteht. Der Einfluss des Soul auf die Entwicklung der westlichen Popmusik ist bis heute unüberhörbar. Generell zwar noch in den Kategorien R'n'B/Black Music und Pop gedacht, gibt es inzwischen genug Beispiele in denen die Grenzen bis ins Unkenntliche verschwimmen.

Das größte Stilmerkmal des Soul ist bis heute der herzergreifende Gesang. Sich aus vollem Herzen und mit ganzer Seele der Musik, den Vibes, der Message hinzugeben, ist die Devise. Und da die Weißen nicht gerade als expressive Gefühlsschleudern gelten und Schwarze tendenziell über einen, traditionell begründet, einfacheren Zugang zu Spirituals und Gospels verfügen, sind Soulmusikerinnen und -musiker eben häufig schwarz.
Ray Charles ist die Ikone. In seinem Windschatten folgen James Brown, Aretha Franklin und Wilson Pickett. Ihren Höhepunkt erlebt die Soulwelle während der 60er. Um 1966/1967 bestimmt die "schwarze Popmusik" vorübergehend den internationalen Musikmarkt. James Brown hat mehrere Hits und Aretha Franklin ist von 1967 bis 1970 die erfolgreichste schwarze Künstlerin ("I Never Loved A Man (The Way I Loved You)", "Respect", "Baby I Love You", usw.). 1969 trägt man dem großen Erfolg der schwarzen Popmusik Rechnung und benennt die Rhythm'n'Blues-Charts in Soulcharts um.

Der Soul-Tsunami, der damals in den weißen Popcharts tobt, ebbt jedoch wieder ab. Die nächste Flut kommt während der 70er, als sich die Produzenten dem weißen Geschmack energischer anpassen. Unter dem Label Phillysound genießt der neue Stil in den 70ern erneut Hitparadenehren. 1982 wird die Chart-Bezeichnung von Soul in Black Music geändert. Zu diesem Zeitpunkt hat der Soul seinen Platz in der Musikgeschichte längst erobert.

Erstmals taucht der Begriff Soul in den 30er Jahren im Zusammenhang mit Gospel-Gruppen auf. Die Soul Stirrers legen ein frühes Zeugnis ab. Erst in den 50er Jahren setzt sich der Begriff durch, wird aber zunächst häufig im Jazzkontext verwendet. Denn nach dem nervösen und komplizierten Bebop und dem unterkühlten Westcoast-Jazz, findet bei den jungen afroamerikanischen Jazzmusikern eine Rückbesinnung auf ihre musikalischen Wurzeln statt.

Sie verwenden in ihren Stücken Gospel und Blues-Einflüsse. Pionier der als Soul-Jazz oder Hardbop bezeichneten Richtung ist Horace Silver, dessen frühes Stück "The Preacher" stilprägend ist. Gleichzeitig fangen Rhythm'n'Blues-Musiker an, Elemente des Gospel in ihre Musik zu integrieren. Vorreiter ist Clyde McPhatter. Für den Durchbruch sorgt jedoch Ray Charles. Seine Songs sind es, die ab Mitte der 50er die Hitparaden erobern. Seine Songs sind es, die Geschichte schreiben. Und seine Songs sind es, die die Zeit überdauern.

Melodische Gospel-Motive gehören bei allen Liedern zu den Zutaten. Ray Charles' frühem Hit "I Got A Women" (1955) liegt beispielsweise der traditionelle Gospel "My Jesus Is All The World To Me " zugrunde. Lediglich der Austausch der religiösen Textinhalte durch weltliche (sprich: die Liebe zu Gott durch die Liebe zu einer Frau) unterscheidet Original und Soulversion. Erst als Ende der 50er die Loslösung von der direkten Übernahme eines Gospelsongs gelingt, schlägt die Geburtsstunde dessen, was unter Soul in die Musikgeschichte eingeht. Daran ist neben Ray Charles auch Sam Cooke und der Godfather wesentlich beteiligt.

Auf politischer Ebene kristallisiert sich in den 60ern aus der Verschärfung der Rassenkonflikte ein neues Selbstbewusstsein und -verständnis der Schwarzen heraus. "Black Is Beautiful" ist eine Losung, die damals auf der Grundlage entsteht, den eigenen Minderwertigkeitsgefühlen den Kampf anzusagen. Die Integration in die Gesellschaft der Weißen und das Recht auf die eigene soziale und kulturelle Identität stehen auf der Liste der politischen Forderungen. Im Begriff Soul drückt sich seinerzeit neben der musikalischen Bedeutung auch die schwarze Kultur und Identität aus. 'Soul' ist politisch und gesellschaftlich mit vielen Bedeutungen aufgeladen und in diesem Sinn ein Code für ein schwarzes Selbstverständnis.

In diesen Zeiten sprechen sich die Schwarzen untereinander als Soul-Brother und Soul-Sister an. Die Ladenbesitzer in den Ghettos hängen als Zeichen der Solidarität, und um sich vor Plünderungen zu schützen, Schilder mit der Aufschrift 'Soul-Brother' in die Schaufenster. Auf Soulkonzerten zelebriert man damals das stilprägende und aus der afroamerikanischen Kirche und dem Blues bekannte 'Call-and-Response'. Zwischen Band und Publikum, zwischen Bläsern und Background oder zwischen Protagonist und Solist wird dem Ruf-Antwort-Prinzip gefolgt. In Kombination mit lautmalerischen Geräuschen wie Schreien und Stöhnen, und der Instrumentalbegleitung, die mit den eingängigen Akkordprogressionen des Gospel den Groove vorantreibt, entsteht während der Live-Shows der Eindruck einer ekstatischen Kirchengemeinde.

Zu Beginn der 60er veröffentlichen auf Atlantic-Records neue Soul-Musiker wie Solomon Burke ("Cry To Me", 1962), Joe Tex, Wilson Pickett ("I Found A Love", "With The Falcons" ) und später Aretha Franklin eine große Anzahl von Stücken. Typisch für diese Zeit sind dramatische 6/8-Balladen mit seelenvoller Gesangsinterpretation.

Die Veröffentlichungen des Stax Labels aus Memphis halten mit Otis Redding ("These Arms Of Mine", 1963), Rufus Thomas, Sam & Dave und Booker T & The MGs dagegen. Was hier gespielt wird nennt sich Southern Soul, Memphis Sound oder Memphis Soul.

Eine dritte und für die Entwicklung des Soul wichtige Strömung kommt aus Detroit. Hier veröffentlicht das Label Motown, dessen Firmenname später als eigener Stil in die Geschichte eingeht. Motown ist geprägt von einem pompösen, mit vielen, vor allem klassischen Instrumenten, angereicherten Sound, was sich im Laufe der Jahre immer weiter steigert. Böse Zungen sprechen von einem "gefälligen musikalischen Unterhaltungsprodukt". Die Temptations, The Supremes und später auch Smokey Robinson und die Jackson Five dienen als Motown-Aushängeschilder. Die Produktionen sind deutlich auf einen weißen Markt ausgerichtet und dort sehr erfolgreich.

Von all dem unbehelligt macht James Brown sein eigenes Ding und auch Stevie Wonder lässt sich stilistisch nicht festnageln, auch wenn er aus der Motown-Schmiede stammt.

Der Soul leistet in seinen verschieden Ausprägungen den Spagat, für den weißen Massenmarkt geglättet zu sein, gleichzeitig aber ein schwarzes Selbstbewusstsein repräsentieren zu wollen. Für Soziologen stellt sich die Frage, warum die Weißen diese Musik akzeptieren und ihr so zu großen Erfolg verhelfen. Neben den faszinierend transportierten Emotionen ist wohl ausschlaggebend, dass die politischen Forderungen der Soul-Brother und -Sister für liberale Weiße durchaus akzeptabel sind. Es geht nicht um eine grundlegende Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Ordnung, sondern um verfassungsgemäß zugesicherte Rechte. Eine gute Basis, um sich gemeinsam zu Bürgerrechtsdemonstration en oder zum Handclapping bei einem Soul-Gig zu treffen.

"Mit der Ermordung Martin Luther Kings im April 1968 lässt die Soulbewegung als soziale, politische und musikalische Artikulation der Farbigen in den USA auffallend nach" (Wicke/Ziegenrücker, Handbuch der populären Musik, Schott, 1997).

Unter dem Label Phillysound genießt Soul in den 70ern erneut Chartsehren. Mit überladener süßer Klangästhetik, liefert die wenig synkopierte Rhythmik einen wichtigen Beitrag zur Discoentwicklung. Wicke/Ziegenrücker sprechen im Zusammenhang mit Phillysound zwar von "nach dem Fließbandverfahren gefertigter kommerzieller Tanzmusik, die mit den Werten der afroamerikanischen Kultur nur noch sehr bedingt zu tun hatte". Disco und Funk (das zweite Kind des Soul) sind dennoch zwei der relevanten und musikhistorisch bedeutsamen Stile der 70er.

Anfang der 80er steckt der Soul in einer Krise. Aber die Welt dreht sich nun mal weiter und neben Tina Turner, Prince und Michael Jackson, die die Nähe zum weißen Popmarkt suchen, ist vor allem der Hip Hop die treibende Kraft für die Entwicklung schwarzer Musik.

Im Lauf der 90er etablieren sich R'n'B, Nu Soul, Neo Soul, Urban Soul und Acoustic Soul in der musikalischen Landschaft. Die Bandbreite der Künstler und Künstlerinnen reicht von Erykah Badu, India Arie, Beyoncé, Anita Baker, Luther Vandross und Lauryn Hill bis hin zu Jill Scott, Alicia Keys, Joss Stone, Lisa Stansfield, Soul II Soul, Xavier Naidoo und Stefan Gwildis.

Black Music ist also fast allüberall. Soul gilt heutzutage umgangssprachlich häufig als Synonym für schwarze Popmusik, die laut Wikipedia "irgendwie 'soulful', also gefühlsbetont, daherkommt". Die alten Original-Stücke leben in Samples weiter. Die Techno- und Housegemeinde ist dankbar für jeden groovenden Lick und leistet einen wichtigen Beitrag um die guten alten Songs in Erinnerung zu behalten. Und hin und wieder kommt sogar ein waschechtes Soulalbum auf den Markt.
 
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Synthiepop der 80er 
In den 90er Jahren fristete Synthie-Pop im kollektiven Musikgedächtnis ein Schattendasein. Zwar hatte sich der Computer als Instrument zur Musikerzeugung längst im Mainstream etabliert, doch zielten die Ergebnisse entweder in Richtung Techno (House, Trance, Goa, Drum'n'Bass, Downbeat) oder auf die Komposition lebloser Pop-Wegwerf-Produkte für die Charts. Die Zeichen der Zeit bestimmten in den 90ern ohnehin die sechs Saiten der Gitarre und die verschiedenen Genre-Ausprägungen hörten auf Namen wie Grunge oder Britpop.

Erst Ende des Jahrzehnts setzte nach und nach die Rückbesinnung auf die frühen 80er Jahre ein, in denen zahlreiche, hauptsächlich aus England stammende Bands mit romantisch-rührseligen Melodien aus dem Synthesizer die Charts eroberten. Der Übergang verlief nicht fließend. Zunächst löste die New Wave-Bewegung den Punk ab, in der Bands von unterschiedlichster musikalischer Couleur zusammen fanden. Gemeinsam war Gruppen wie The Police, Pretenders, Gary Numan oder The Cure einzig die aus dem Punk gezogene Energie, die sich musikalisch in verschiedenster Weise auswirkte. Nach und nach entdeckten viele Bands dieser Kategorie die von regelrechten Preisstürzen heimgesuchten, analogen Synthesizer.
In der Folge entwickelten sich nach und nach zahlreiche Subgenres: Als New Romantics wurden beispielsweise englische Bands bezeichnet, die besonderen Wert auf Styling legten und dies auch in offensiver Form zur Schau stellten (Duran Duran, The Human League). Für Bands wie The Cure, Siouxsie And The Banshees oder Joy Division, die Ende der 70er mit grollenden Bassläufen und Weltschmerz-Lyrik eine betont düstere Richtung einschlugen, öffnete sich das Gothic-Genre.

Und schließlich kam einigen Bands auch die von Kraftwerk bereits seit Jahren praktizierte Idee der rein elektronischen Klangerzeugung, derer sich Bands wie Ultravox, Depeche Mode oder OMD früh annahmen. Der Grundstein war gelegt für ein vielfältiges, durch Technik inspiriertes Jahrzehnt, in dem Synthie-Pop (auch Elektro-Pop oder 80s Pop) ein neues Zeitalter in der Musikgeschichte einläutete.

Am Anfang war Kraftwerk. Mit dem Album "Autobahn" setzte das Düsseldorfer Quartett 1974 einen Meilenstein der elektronischen Musik in die Welt, dessen Reichweite niemand vorhersehen konnte. Statt Gitarren zu malträtieren, gaben sich die vier Musiker der Gruppe damit zufrieden, im Proberaum an Knöpfchen herum zu drehen. Doch nicht nur das: sie besaßen gar die Chuzpe, diese bewegungsfreie Studio-Performance auch auf der Bühne vor Publikum aufzuführen.

Zwar werkelten mit Can, Faust, Tangerine Dream und Neu! in den 70ern noch weitere deutsche Bands auf innovative Weise an neuen Klangwegen, die Revolution der elektronischen Musik zettelten jedoch unwiderruflich Kraftwerk an und gelten damit zu Recht als Begründer des Genres, das in den 80ern Synthie-Pop und in den 90ern Techno groß rausbringen sollte. Von Edgar Froese, Mitglied der 1967 in Berlin gegründeten Band Tangerine Dream, ist das schöne Zitat überliefert: "In zehn Jahren wird jeder einen Synthesizer spielen". Der Satz fiel in einem Interview von 1973 und brachte den Journalisten dazu, sein Aufnahmegerät zu stoppen und Froese als Idiot zu beschimpfen.

Für die Entwicklung des massentauglichen Synthie-Pops der 80er Jahre sind jedoch noch andere Einflüsse wichtig. Der Brite Gary Numan gehört dazu. Zwar können vor ihm schon Kraftwerk mit der epischen Single "Autobahn" die Charts stürmen, doch der Ex-Tubeway Army-Sänger gilt bis heute als erster Synthesizer-Popstar. Im Jahr 1979 erscheinen seine Singles "Cars" und "Are Friends Electric?", die den Jüngling mit der Vorliebe für Science Fiction-Stoffe über die Grenzen des Königreichs hinaus bekannt machen.

Zu dieser Zeit verrät er auch sein Erfolgsgeheimnis: "Mein einziges Talent ist es, Geräusche aneinander zu reihen". Damit weist er als bekennender Nicht-Musiker Dutzenden von Elektronik-Jüngern den Weg, die bald darauf ein neues Genre salonfähig machen sollten.

Jene Synthie Pop-Bands übernehmen nichts anderes als die "Do it yourself"-Attitüde des Punk, die Ende der 70er Jahre mittels der Glorifizierung dreier Akkordfolgen eine neue Herangehensweise an Gitarrenmusik darstellte. Schließlich ist auch der analoge Synthesizer leicht zu bedienen, obendrein plötzlich für jedermann erschwinglich und nicht mehr von der Größe eines Wandschranks, wie man es noch von Kraftwerk- Coverabbildungen Mitte der 70er Jahre her kannte.

Zu den wesentlichen Analog-Synthies zählen der Minimoog und die Jupiter/Juno-Geräte von Roland, die den speziellen Sound früher Aufnahmen von Depeche Mode ("Speak And Spell" ) oder The Human League ("Dare" ) charakterisieren. Die ersten Moog-Geräte kommen bereits 1965 auf den Markt und schaffen es schnell in die frühen Liveshows von Pink Floyd. Auch der Bass-Synthesizer TB 303 von Roland, der 1982 auf den Markt kommt, ist so typisch für Früh-80er Synthie-Pop wie die Geräusch-Gewitter, die die Einführung des Samplers 1983 nach sich zieht. Erst mit dem digitalen Synthesizer Yamaha DX-7 kommen die alten Analog-Geräte ab 1985 langsam aus der Mode.

Die meisten neuen Bands suchen das erstmals von Kraftwerk gezeichnete Bild elektronischer Musik zu konterkarieren: keinen sterilen und kühl-maschinellen Charakter sollen die Kompositionen mehr ausstrahlen, sondern vielmehr Wärme und Romantik. Ob tatsächlich die oft zitierte Tristesse des britischen Alltags unter der Thatcher-Regierung als Grund für die meist kitschigen Song-Ergebnisse herhalten muss, bleibt Spekulation.

Tatsache ist, dass Ultravox 1980 mit dem epischen "Vienna" die europäischen Charts stürmen und Soft Cell kurz darauf ihr elektronisches "Tainted Love"-Remake in die Diskos schmettern und dank des pathosbeladenen Organs von Sänger Marc Almond als die Verkörperung des 80er Kitsch-Pops schlechthin gelten. Doch auch OMD stehen mit "Maid Of Orleans" dem bombastischen Synthie-Schwulst in nichts nach. Als die Urväter von Kraftwerk 1981 mit dem Album "Computerwelt" nochmal mittenrein in den britischen Synthie Pop-Höhenflug platzen, hat sich die nachfolgende Generation bereits in Richtung moderne Popmusik verabschiedet.

Nicht alle Bands unterzeichnen Anfang der 80er bei einer großen Plattenfirma, viele vertrauen lieber der familiären Unterstützung kleiner, sogenannter Indie-Labels (Feindbild: Industrie!). Der Begriff "Independent" gilt anfangs noch für alle Bands, die auf kleinen Labels veröffentlichen und entwickelt sich erst Mitte der 80er zu einem eigenen Genre für Gitarren-Rock abseits von Bon Jovi und U2. Zu den erfolgreichsten Indie-Labels hinsichtlich elektronischer Musik zählen Mute aus London (Fad Gadget, Depeche Mode, Erasure, Nitzer Ebb) und Factory aus Manchester (New Order).

Eine weitere Ausdrucksform des Elektro-Booms nennt sich Hi-NRG (die Lautschrift für "High Energy" ), die sich mit 130/140 bpm (Beats per minute) nach und nach zur essentiellen Clubmusik der 80er Jahre entwickelt. Dank des gleichnamigen Nummer Eins-Hits von Evelyn Thomas kommt der Begriff 1984 gar selbst zu Chartehren. Pate steht hierbei die End-70er Disco-Welle. Die volle Konzentration des Phänomens gilt dem recht minimalistischen Rhythmusgerüst, das von Drum Machines und Sequencern angetrieben wird. Somit verwundert es auch wenig, dass der Sound seinen Ursprung in den Gay-Clubs von San Francisco hat, wo der Körperkult besonders ausgeprägt ist.

Bekennende Homosexuelle wie Bronski Beat, Pet Shop Boys oder Frankie Goes To Hollywood schielen später unverhohlen auf die Beats der Produzenten Bobby Orlando und Giorgio Moroder. Ihnen gebührt dank der Mitarbeit an Gloria Gaynors "Never Can Say Goodbye" und Donna Summers "I Feel Love" der Löwenanteil am Erfolg der neuen elektronischen Clubmusik. Der 1982 an AIDS verstorbene DJ Patrick Cowley liefert Anfang der 80er den legendären 15-Minuten-Mix von "I Feel Love". Beide Disco-Songs sind dank ihres Tempos und ihrer Abmischung bereits echte Hi-NRG-Kracher.

Aus historischer Sicht geht Hi-NRG als Übergangsform von Disco zu House in die Annalen der Musikgeschichte ein. Zwischen Südtirol und Sizilien ahmt das Label S.A.I.F.A.M. das neue Dance-Rezept nach und landet mit "Hey Hey Guy" von Ken Lazlo den ersten Top-Seller der Italo Disco-Welle. Zum Superstar schafft es Mitte der Achtziger allerdings nur der gutaussehende Manuel Stefano Carry alias Den Harrow, dessen Songs allerdings jemand anderes einsingt.

Zu den wichtigsten Produzenten der 80er zählen der durch die Afrika Bambaataa-Produktion von "Planet Rock" gefeierte Arthur Baker, der die Arbeiten von New Order verfeinert, Stephen Hague legt Hand an die Songs der Pet Shop Boys und OMD, während Trevor Horns Vita von Frankie Goes To Hollywood über ABC bis hin zu Spandau Ballet reicht. Heute gehören die jungen Russen von T.A.T.U. zu Horns Kunden.

Zweifellos das erfolgreichste Produzententeam der 80er Jahre sind jedoch Stock/Aitken/Waterman. Die Briten bringen innerhalb weniger Jahre über 100 Songs in den Top 40 ihrer Heimat unter. Ob für den Transvestiten Divine, Fast Food-Produkte wie Hazell Dean, Dauerbrenner wie Rick Astley, Kylie Minogue und Bananarama oder Busenwunder wie Sabrina und Samantha Fox; den drei Produzenten-Machern flutschen die Hits bis zu ihrer Trennung 1991 nur so aus den Fingern.

Dass es dem Trio weniger um dauerhafte Qualität als um Hits für den Moment geht, belegt ein Zitat Peter Watermans: "Unsere Musik ist nur Unterhaltung - sie ist austauschbar. Du kaufst sie, du hast eine gute Zeit. Du brauchst es nicht zu analysieren, um herauszufinden, was in Nicaragua passiert, weil du das niemals auf einer Popmusik-Platte herausfinden wirst." Ihre erste Nummer Eins (1985) darf als einer der typischsten 80er Jahre-Popsongs gewertet werden: "You Spin Me Round (Like A Record)" von Dead Or Alive. Sämtliche Hit-Ingredienzien sind hier integriert: sprudelnde Oktav-Sequencer-Bässe, Kuhglocken-Sounds, schnappende Sechzehntel-Hi Hats und ein hymnischer, mehrstimmiger Pop-Refrain.

Auch in Deutschland hat die Stunde der Produzenten geschlagen. Der Oldenburger Studiomusiker Dieter Bohlen erkennt das Potenzial der neuen Disco-Welle und setzt es mit seinem Partner Thomas Anders erschreckend erfolgreich um: Ohne Modern Talkings aalglatten Elektro-Pop-Brei ist deutscher 80er Pop heute nicht vorstellbar. Nebenbei schreibt Bohlen für C.C. Catch, Marianne Rosenberg, Chris Norman und Bonnie Tyler weitere Hits.

Von New York aus erobert Madonna die Hitlisten und auch sie verzichtet bei ihrem Aerobic-kompatiblen Soft Pop auf Gitarren. Stattdessen hegt auch sie eine Sympathie für die ellenlangen Extended Versions, die im Maxi-Single-Format den Siegeszug antreten. In Deutschland eifert Sandra dem großen Vorbild Madonna mit Songs aus der Feder ihres Ehemanns Michael Cretu erfolgreich nach.

Zu den innovativsten und zugleich meistverkauften Maxi-Versionen zählt New Orders Version von "Blue Monday" (1983, 131 bpm). Auch Dead Or Alives "You Spin Me Round (Like A Record)" im Murder Mix (130 bpm) ist eine legendäre Extended-Aufnahme. Viel Mühe geben sich außerdem die Style-Instanzen Depeche Mode und Pet Shop Boys, die zu jeder Hitsingle mehrere Versionen abliefern. Beide Bands schaffen im Gegensatz zu The Human League oder OMD den Sprung in die 90er Jahre vor allem auch deswegen, weil sie weder den Fehler begehen, sich selbst zu kopieren, noch sich den Moden des Zeitgeists unterwerfen.

Doch Ende der 90er sind plötzlich auch wieder Bands im Gespräch, die lange in der Versenkung verschwunden waren. "Nu Wave" und "Electroclash" nennt sich das neue Phänomen: Felix Da Housecat, DJ Hell und Miss Kittin huldigen in ihren Sets alten Synthie Pop-Basslinien, Bands wie Zoot Woman, Ladytron, Tok Tok oder Golden Boy decken sich mit analogem Uralt-Equipment ein und basteln an neuen Songs nach altem Muster. Auch die Kunst kehrt ins Bewusstsein der Musiker zurück: Bands wie Fischerspooner treten vorwiegend in New Yorker Galerien auf, das Münchner Mädchen-Trio Chicks On Speed lernte sich auf der Kunstakademie kennen und kreiert seine Bühnenklamotten seither selbst. Posing, Glamour und Sex sind die wichtigsten musikbegleitenden Stilmittel der Neuzeit-Variante. Durch das Revival angestachelt, feiern zahllose alte Recken wie Soft Cell, The Human League, Fad Gadget und A-ha teilweise unverhoffte Comebacks
 
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Techno 
 
Techno, das ist in allererster Linie elektronische Tanzmusik. Von den Dancefloors der Clubs hat sie ihren Siegeszug um die Welt angetreten und von dort bezieht sie immer noch ihre wesentlichen Impulse. Heute hat sich Techno einerseits als Überbegriff für die unterschiedlichsten Spielarten elektronischer Tanzmusik von Drum'n'Bass über House zu Gabber im Vokabular festgesetzt. Andererseits bezeichnet Techno aber auch die straighte, schnörkellose 4-to-the-floor-Variante wie sie in Detroit geprägt wurde. Die Wurzeln von Techno sind im Disco- und House-Sound der frühen 80er Jahre zu suchen. Einflüsse können aber auch auf EBM (Electronic Body Music), Industrial, Krautrock, Funk, Soul oder den experimentellen Ansatz von Pierre Henry, der die Musique Concrete erfand, zurückgeführt werden.

In Detroit tauchte der Begriff 'Techno' zum ersten Mal im musikalischen Kontext auf, als die "Belleville-Three" Kevin Saunderson, Juan Atkins und Derrick May unter verschiedenen Pseudonymen (Model 500, Reese, Mayday, Rhythim Is Rhythim) neuartige Computer-Sounds veröffentlichten. Eine funkige Synthesizer-Bassline wurde mit kühl-präzisen Kraftwerk-Beats kombiniert und der Grundrhythmus um eine Vokoderstimme und einige minimale Melodiearrangements erweitert. Die Musik der Zukunft war geboren, wie die 90er Jahre zeigen sollten: Der DJ und die Schallplatte wurden zu den Schrittmachern der Clubkultur.
Mit der zunehmenden Popularität elektronischer Tanzmusik und Verfügbarkeit billiger Geräte zur Produktion nahm die Experimentierfreude zu: der Mix ist alles! Gemäß diesem Credo wurde alles elektronisiert und auf den Dancefloor gebracht: Downbeat, Drum 'n' Bass, Electro, Trance, House, Big Beat, Jungle. Techno präsentierte sich offen für Neues. Die Metamorphose wurde zum Prinzip und machte die Clubkultur zum lebendigen künstlerischen Biotop. Flyer, Mode, Coverlayout, Tanz, Video, Internet, Innenarchitektur flossen in die Clubkultur ein.

Neben Detroit, das mit Jeff Mills, Underground Resistance und den "Belleville-Three" den harten, aus dem Industrial entwickelten Techno nach Europa brachte, waren es vor allem europäische Musiker, die Techno wesentlich prägten. Das Sheffielder Warp-Label bot eine Plattform für die minimale und experimentelle Musik von Bands wie LFO, Nightmares On Wax oder Aphex Twin. Laurent Garnier ließ den französischen Dancefloor beben und die Niederlande exportierten Hardcore/Gabber in alle Welt. Frankfurt wurde dank Sven Väth neben Berlin (Tresor) und Köln, wo Air Liquide an den Reglern drehten, zur deutschen Technometropole. Ab Mitte der 90er ging die Entwicklung weg von den Zentren zu einer bunten Vielfalt: Kruder & Dorfmeister küssten die schlafende österreichische Szene wach, Jimi Tenor, Adam Beyer und Cari Lekebusch erhoben Skandinavien in den Reigen der 'Technogemeinde' und Ken Ishii bewies, dass auch Japaner zu Raven verstehen
 
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Trip Hop
Anfang der 90er in Bristol entstanden, hat Trip Hop seine Roots im Hip-Hop und Dub.

Im Gegensatz zum Hip Hop fehlt der Rap, und im Gegensatz zum Dub fehlt der Reggae. Statt dessen bedient sich Trip Hop eher harmonischer und melodischer Elemente aus dem Pop. Schöne Frauenstimmen sind nicht selten.
Wesentlichstes Merkmal ist das Tempo, das sich bei 80 BPM einpendelt. Klanglich gesehen weist Trip Hop viele Parallelen zum Jungle und Drum 'n' Bass auf.

Sehr viel Wert wird auf die von Computern und Samples unterstützte Produktion gelegt. LoFi-Effekte (Vinylknistern, Netzbrummen und sonstiger Akustik-Schmutz) feiern ihr größtes Fest, weil die Musik genug Raum bietet, um diese Finessen auszukosten.

Wichtigste Bands dieses Genres: Massive Attack, Portishead (beide kann man getrost als Erfinder nennen), Morcheeba, Tricky, Moloko und das Wiener Remix-Duo Kruder & Dorfmeister.
 
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Volksmusik
Oberkrainer und Biermösel Blosn, Blusen. Folk-Blues, Funky-Blues, Prison-Blues, Texas-Blues, Rhythm & Blues, Archaic-Blues, Cajun-Blues, Urban-Blues, Country-Blues. Ich-krieg-n-Blues.
 
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Weltmusik
Ach ja, es ist so eine Sache mit dem Begriff Weltmusik. Von den einen verteufelt, weil er sich einer eurozentristischen Sichtweise bedient. Von den anderen geliebt, weil er eine hübsche Schublade zur Verfügung stellt, in die alles mühelos reinpasst, was irgendwie auf nichtwestliche Musikformen hinweist.

Zurück geht die Begrifflichkeit auf ein Treffen von Indie-Plattenbossen, das 1987 in London stattfindet. Zu Ruhm und Ehre verhilft aber entscheidend Peter Gabriel, der sich ebenfalls in den 80ern in die Weltmusik verliebt. Das von ihm initiierte WOMAD (World Of Music, Arts and Dance)-Festival und sein Real World-Label kümmern sich seither auf höchster Ebene um die Etablierung außereuropäischer Künstler.
Aber, klaro, Weltmusik gibt es nicht erst seit den 80ern. Sich (mit anderen Stilistiken) zu vereinen begleitet seit jeher die Geschichte der Musik. Ob es sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts um die Gesänge der Sklaven handelt, die im Blues münden, oder, Ende der 50er, um brasilianischen Samba, der mit amerikanischem Cool Jazz zum Bossa Nova mutiert: Fusion bestimmt das Geschehen und ist seit jeher eine treibende Kraft, um das Perpetuum Mobile namens Musik in Bewegung zu halten. Oder um es anders zu formulieren: Alle Musik erneuert sich durch einen ständigen (kulturellen) Austausch.

"Das Wort Weltmusik wurde erst im vergangenen Jahrhundert geprägt, doch die Sache selbst ist wesentlich älter. Weltmusikalische Ansätze gibt es bereits in den frühgeschichtlichen Großreichen mit ihrem bunten Gemisch der Völker, Religionen und Stile", weiß der Musik-DUDEN. Und bereits um das Jahr 1420 beschreibt der arabische Historiker Hafez-I-Abru einige Ensembles an den Höfen Zentralasiens als: "Sie sangen und spielten Motive im persischen Stil auf arabische Melodien nach türkischem Brauch mit mongolischen Stimmen und folgten dabei chinesischen Gesangsprinzipien und Metren aus dem Altai".

Das, was wir heute Weltmusik nennen, erlebt seine Geburtsstunde in den 60ern. Einer der ersten Weltmusiker in diesem Sinne ist der amerikanische Jazzklarinettist Tony Scott. Nach ausgiebigen Weltreisen Ende der 50er und einem fünfjährigen Aufenthalt in Asien spielte er 1964, gemeinsam mit dem Koto-Spieler S. Yuize, das bis heute gültige Album "Music For Zen Meditation" ein. Auch John Coltrane zählt zu den Pionieren der ersten Stunde. Er beginnt 1961 mit "Olé Coltrane", "African Brass" und "India" zu den Wurzeln indischer und afrikanischer Musik vorzudringen und ihre Klänge, Melodien und Rhythmen in den Jazz zu integrieren.

Als äußerst erfolgreicher Import dient zu dieser Zeit der Sitar-Spieler Ravi Shankar, der der indischen Musik im Westen zu enormer Popularität verhilft. Er ist es, der Beatle George Harrison das Sitarspielen beibringt, der 1967 gemeinsam mit Yehudi Menuhin zwei LPs einspielt, und der 1969 auf dem legendären Woodstock-Festival auftritt. In Deutschland kümmert sich der Posaunist Albert-Mangelsdorff, der 1964 Asien bereist und von Jazzpapst Joachim Ernst Berendt einem großen Publikum bekannt gemacht wird, um die Belange der Weltmusik.

Auch die Beatles und die Rolling Stones experimentierten in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre mit indischen und arabischen Klängen. Ein Denkmal setzt das von John McLaughlin initiierte Mahavishnu Orchestra, das Anfang der 70er ordentlich abräumt. In Deutschland bemüht sich derweil der Krautrock um die Implementierung ethnischer Musik. Kraan, Can, Ash Ra Tempel und wie sie alle heißen, lassen sich mehr oder weniger bedrogt von der Anziehungskraft des Exotischen in den Bann ziehen. Dass dabei nicht nur Musik, sondern auch Religion, Weltanschauung, Menschenbild etc. eine Rolle spielen, versteht sich für alle Suchenden fast von selbst.

Während der 80er gewinnt das noch junge Genre zunehmend an Kontur und Qualität, was auf das Engagement vieler kleiner Plattenfirmen und vor allem Peter Gabriels Real World-Label zurück zu führen ist. Real World und das von Gabriel ins Leben gerufene WOMAD-Festival (erstmals 1982) präsentieren im Westen unbekannte Künstler und Künstlerinnen, die auf zunehmend offene Ohren stoßen. Nusrat Fateh Ali Khan, Manu Dibango und Youssou N'Dour gehören zu den wohl bekanntesten Vertretern der ersten Stunde.

Dennoch: Der Verkauf der Alben gestaltete sich schwierig, da die meisten Händler nicht wussten, in welches Fach sie diese Produkte einsortieren sollten. Lösung brachte 1987 in London das eingangs erwähnte Treffen von Indie-Plattenbossen, die kurzer Hand das Etikett "World Music" entwarfen. Das war zwar nicht neu, da Capitol Records den Begriff bereits in den 50ern für ihre "Capitol Of The World Series" verwendete, aber verkaufs- und werbefördernd.

Jetzt kommt der Worldmusic-Dampfer richtig in Fahrt. Dazu trägt Paul Simons "Graceland" (das, eingespielt mit Musikern aus Südafrika, einen gewaltigen kommerziellen Erfolg verbucht) ebenso bei, wie das zu Beginn der 90er initiierte Projekt "One World One Voice". Über 50 Musiker, Musikerinnen und Bands aus aller Welt wirken daran mit, u.a. Afrika Bambaataa, Laurie Anderson, Mari Boine, Peter Gabriel, Bob Geldof, David Gilmour, Lou Reed, Ryuichi Sakamoto, Sting und Suzanne Vega.

Das Handbuch der populären Musik erkennt, dass der nun einsetzende Worldmusic-Boom "nicht unerhebliche Teile vor allem der studentischen Jugend des Westens auf der Suche nach etwas 'Authentischem' und 'Ursprünglichem' auf den Ehtno-Trip führte." Erkennt sich da etwa jemand wieder?

Inzwischen tragen die Verkäufe aus dem Worldmusic-Segment einen bedeutenden Beitrag zum Cash-Flow des Musikgeschäfts bei und es etablieren sich zahlreiche Künstler und Künstlerinnen aus aller Welt in den einheimischen Ohren. Unter ihnen und um nur einige zu nennen: Angelique Kidjo, Zap Mama, Netsayi, Akli D., Lura, Susheela Raman, Cesaria Evora, 1 Giant Leap, Badi Assad, Michy Mano, Dhafer Youssef, Amparanoia, Daara J, Rabih Abou-Khalil, Nitin Sawhney, Sa Dingding, Sainkho Namtchylak, und und und ...
 
 

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